Gedankenplauderei

Ich mag keine Tussis aus der Stadt!

HietzingVilla-Wonderfulfifty

Gästebücher zu den verschiedenen Anlässen sind immer wieder etwas Schönes und es ist auch interessant, was andere anmerken oder eintragen. So ist auch bei der Hochzeit meiner Nichte ein Gästebuch aufgelegen, in dem die Gäste neben Glückwünschen und Sprüchen auch persönliche Angaben machen konnten. Auf einer Seite ist mir dann in der Spalte „Was ich nicht mag“ die Anmerkung „Tussis aus der Stadt“ ins Auge gestochen und mein Kopf hat gleich mal zu rattern begonnen.

Was ist denn hier nun gemeint, ist hier ein auf Äußerliches bedachter Mensch gemeint? Ist hier ein Mensch gemeint, der oberflächlich und ichbezogen handelt? Oder verbirgt sich dahinter ein mode-affiner Mensch? Die Bezeichnung „Tussi“impliziert jedenfalls eine abwertende Bedeutung. Doch ist es negativ zu sehen, wenn jemand modebewusst und gepflegt ist – das kann und wird doch auch oft ein liebenswerter Mensch sein, warum sollte ein optisch ansprechendes Äußeres abzuwerten sein? Andererseits kann jemand zwar oberflächlich, aber trotzdem loyal und treu sein.

Aber diese Klischees werden auch in den Geschichten und Filmen immer wieder gerne bedient – da gibt es das arme, liebe und brave Mädchen, das schlichte Kleidung trägt, und daneben die arrogante reiche Gegenspielerin, die mit einem auffälligen Outfit und aufwändiger Frisur herumstolziert. So wird dabei die eine mit guten Eigenschaften als klug, mitfühlend und hilfsbereit dargestellt, die andere hingegen ist negativ bewertet mit oberflächlich, egoistisch und nicht besonders intelligent. Aber so einfach ist diese Einteilung wohl nicht – nicht jeder einfache Mensch ist quasi ein guter Mensch und jeder wohlhabende Mensch ist böse.

 

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Wo sind die schlechten Autofahrer?

Doch das Spiel geht ja noch weiter – es kommt hier auch noch der Zusatz „aus der Stadt“. Soll das nun heißen, dass es Tussis nur in der Stadt gibt oder dass die Person, nur die Tussis aus der Stadt nicht mag, aber die am Lande sehr wohl? Da es sich bei der Schreiberin um eine Person aus einer ländlichen Gegend handelt, dürfte sie sich hier auf das teilweise vorherrschende Vorurteil gegenüber den Stadtbewohnern beziehen.

Hierzu brauchen wir als ganz einfaches Beispiel nur die Autofahrer heranziehen – für viele Landbewohner sind die Städter die schlechten Autofahrer, die auf der Landstraße dahinkriechen, die eine Bergfahrt nicht ordnungsgemäß hinbekommen und die eine freie Fahrt blockieren. Bei den Städter ist es wieder andersrum – die Landbewohner können nicht schnell und ordentlich einpacken, sie beherrschen den Spurwechsel nicht angemessen. Die Liste ließe sich jetzt wohl noch mit vielen Punkten fortsetzen – hier zeigt sich, dass sich eben jeder seinem Umfeld angepasst verhält und es kann wohl nicht beurteilt werden, was hier nun besser oder schlechter ist? Ist Einparken auf kleinstem Raum wichtiger oder ist eine zügige Bergfahrt wichtiger?

 

Das Putzfrauen-Klischee

Doch diese vielfach nicht begründeten Ablehnungen finden wir auch bei den unterschiedlichen Berufsgruppen – vor allem bei einem Klassentreffen ist es total interessant zu sehen, wie unterschiedlich sich die Einzelnen entwickelt haben. Manche erfüllen das Klischee und auf sie treffen diese allgemeinen Vorurteile auch vollkommen zu – so etwa ist eine der Anwesenden eine Putzfrau aus Wien. Macht doch mal den Versuch und überlegt, welches Bild ihr euch dazu aus Gewohnheit oder auch aus Erfahrung vorstellt.

Jedenfalls trug Andrea lange Kunstfingernägel in einer grellen Farbe (da stellen sich wohl jetzt insgeheim viele die Frage, wie man mit solchen Nägel überhaupt putzen kann), ungepflegtes Haar, grelles Make-up und irgendwie ein total verbrauchtes Gesicht. Ihre Kleidung hat dieses klischeehafte Bild perfekt ergänzt. Ihr hauptsächliches Gesprächsthema war ihr kleiner Hund und wir wurden mit Schilderungen überhäuft, wann ihr Putzi den Kopf nach rechts und wann nach links gedreht hat und eine Unzahl an Fotos haben uns überschwemmt, bis der Großteil wirklich auf Durchzug gestellt hat.

Daneben erzählen die Organisatoren von einer ehemaligen Schulkollegin, die Ärztin geworden ist und sie bei der Einladung gleich mit den Worten „Egal, wann ihr das Treffen macht – ich habe dafür sowieso keine Zeit“ abgefertigt hat. Dabei sehe ich nicht die Ablehnung der Einladung als Problem, sondern die Form, in der es geschehen ist. Eine höfliche Absage – auch ohne Erklärung – ist für mich vollkommen legitim, aber dieses Verhalten von oben herab finde ich nicht ganz korrekt.

 

Wir sitzen alle im selben Boot

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Dabei hat das meines Ermessens keineswegs nur mit der Bildung oder der gesellschaftlichen Stellung zu tun – höfliches Benehmen kostet nichts, höfliches Benehmen kann sich jeder aneignen und es trägt doch so viel zu einem schönen Zusammenleben bei. Dabei ist es unerheblich, ob nun der Arzt den Servicetechniker um die Reparatur der Heizung bittet oder der Servicetechniker vom Arzt eine Diagnose seiner Schmerzen erwartet. Jeder hat seinen Arbeitsbereich und ist auf die Dienste des anderen angewiesen.

Trotzdem mache ich immer wieder die Erfahrung, dass in der Handwerkerbranche das Vorurteil der überheblichen Akademiker herrscht. Worauf diese Meinung beruht und wieso sich dieses Urteil gebildet hat, weiß ich nicht, denn ich mache immer wieder die Erfahrung, dass es in allen Berufen nette und angenehme Menschen gibt, die ihren Beruf lieben, die auch andere Menschen immer freundlich behandeln und Querulanten, denen keiner etwas Recht machen kann und die immer etwas zum Sudern und Jammern finden.

 

Wer macht es besser?

Nun nochmals zurück zu unserem Treffen – ein ehemaliger Schulkollege hatte ein Cafe eröffnet und das Geschäftsgebaren hat dann doch nicht so wie erwartet funktioniert, sodass er es wieder stilllegen musste. Was dann einerseits an Kritik und andererseits an irgendwelchen „klugen“ und „gut gemeinten“ Ratschlägen und Hinweisen auf ihn einprasselte, war schon erstaunlich – jedenfalls hat er die Diskussion mit einem für mich sehr interessanten Satz beendet „Nicht reden – sondern selber machen“.

Das trifft es doch gut – viele Menschen urteilen über andere, wie diese bloß so dumm sein konnten, wie diese doch bloß solche Fehler machen konnten, wie diese es so falsch angehen konnten, ohne meistens die Hintergründe zu kennen, ohne zu wissen, was wirklich geschehen ist und vor allem ohne zu wissen, ob sie selbst es besser gemacht hätten. Außerdem ist es doch noch ein wesentlicher Unterschied, ob ich etwas von außen beurteile und ohne Auswirkungen darauf schaue oder ob ich selbst betroffen und eben mitten im Geschehen bin. Ich denke, manchmal würden wir uns vielleicht schlussendlich auch in einer Art verhalten, wie wir es uns vorher nicht gedacht hätten. Daher urteile niemals über Menschen, die in einer Situation sind, in der du noch nie warst.

 

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Italien oder Japan?

Doch dieses Urteil bilden wir uns nicht nur in Abhängigkeit vom Beruf, von der Arbeit oder Ausbildung eines Menschen, sondern es trifft sehr wohl auch auf Länder zu. Wenn wir jetzt wieder mal das Kopfkino einschalten und eine italienische Familie an uns vorbei laufen lassen – wir hören lautes Geschwader und Gelächter, die Menschen gestikulieren wild durch die Gegend, es ist ein lebhaftes Treiben vor uns. Dann switchen wir zu einer japanischen Familie – wie ändert sich doch das Bild gleich. Ganz ruhig und geräuschlos ziehen sie an uns vorbei, den Kopf vielleicht sogar etwas gesenkt, bemüht keinen zu belästigen oder zu stören, keine Gesten – ein stillschweigendes und ruhiges Vorbeiziehen erleben wir hier.

Wenn ich dann von Menschen immer mal wieder so Aussagen höre wie „Können sich die nicht normal benehmen?“, dann steht vor meinem Auge ein riesengroßes Fragezeichen – was ist denn normal, wer ist denn normal? Ist es normal, dass die Familie laut durch die Straße marschiert oder dass sie sich eher ruhig und verhalten gibt?

Um hier vielleicht gleich noch bei Japan zu bleiben, wenn wir dort in die Metro blicken, sehen wir Menschen, die gesittet in einer Reihe angestellt auf den Zug warten, im Waggon selbst ist es total still. Hier denke ich, dass diese Menschen wohl einen Kulturschock erleben müssen, wenn sie in unsere U-Bahn-Station mit all dem Gerempel und Lärm geraten. In diesem Fall muss ich gleich anmerken, dass mir doch die japanische Variante – obwohl nicht gewohnt – sympathischer ist und diese auch gerne bei uns zum Normalfall werden darf.

 

 

Ist das normal?

Für uns ist doch meistens das normal, was wir in unserem Aufwachsen erlebt haben, was wir tagtäglich sehen und erfahren, was in unserer Familie, in unserem Freundes- und Kollegenkreis, in unserem Umfeld Gewohnheit ist. Sei dies nun das Verhalten anderen Menschen gegenüber, das Verhalten auf der Straße, im Geschäft und im Beruf. Dabei reicht es doch oftmals, nur in das nächste Tal, in den nächsten Landstrich zu fahren und schon erfahren wir andere Bräuche und Traditionen, wie wir dies auch bei der Hochzeit im August erleben durften. Es sind viele Kleinigkeiten, die eben anders als gewohnt gelöst sind, ohne jetzt gleich darüber zu urteilen, ob dies nun besser oder schlechter ist, was schöner oder passender ist.

Ich denke, es hilft vielleicht, öfters wieder über den Tellerrand schauen, auch auf andere Menschen offen und aufgeschlossen zuzugehen und nicht gleich alles Unbekannte engstirnig anzulehnen oder als „nicht normal“ zu bezeichnen. Es ist doch ungemein bereichernder, Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen und durch diese Menschen werden wir dazu animiert und angeleitet.

Dabei ist natürlich als anderes Verhalten ein Verhalten innerhalb des sozialen Gefüges zu sehen – respektloses Verhalten wird nicht akzeptiert, wobei es hier vielleicht auch schon wieder zu einem Definitionsproblem kommen kann. Was für den einen noch im akzeptablen Bereich ist, ist für den anderen schon ein absolutes No-Go. Aber ich denke, ihr wisst, was gemeint ist – solange nicht der Freiheitsbereich von anderen verletzt wird, solange es sich nicht um eine Bedrohung oder ein Verbrechen in irgendeiner Form handelt.

Mit einem respektlosen Verhalten kann ich nicht umgehen und will es auch nicht, und dabei ist es egal, welche Nationalität der andere hat, welche Hautfarbe oder welche berufliche Stellung, es tut auch nichts zur Sache, ob er arm oder reich ist, ob er in einer Villa wohnt oder obdachlos ist, ob er schön oder häßlich ist.

 

Anders und doch gleich!

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Wir müssen nicht alle mögen und für alles Verständnis haben, doch wir können akzeptieren, dass manche etwas anders handhaben, dass dies eben für sie auch funktioniert oder vielleicht auch besser funktioniert. Das bringt doch oftmals auch für uns eine Bereicherung – wer sagt denn, dass wir die optimale Lösung haben, weil wir etwas gewohnt sind, weil es bei uns immer so gemacht wird. Es sind oft Kleinigkeiten, die wir von anderen mitnehmen können, seien es nun im engsten Fall unsere Nachbarn, es kann aber auch andere Berufszweige, andere Städte, andere Kulturen oder andere Staaten betreffen.

Ob der eine jetzt nun Insekten oder Schnitzel mit Pommes, Currywurst oder Croissants isst, wird dabei zur Nebensächlichkeit, ob der andere nun eine Lederhose, einen Sari, einen Kimono oder eine Uniform trägt, tut nicht wirklich was zur Sache, ob Walzer, Tango oder Hambo getanzt werden, ist unwesentlich. Es ist die Mentalität der Menschen, auf die es ankommt und ich bin mir sicher, dass es eben in jedem Land gute und böse Menschen gibt, Menschen, die freundlich und wohlgesonnen sind und Menschen, die „sich selbst nicht mögen“.

 

Es ist doch schön, immer wieder Menschen mit anderen Gewohnheiten kennenzulernen, von ihren Erfahrungen zu lernen, ihnen nicht gleich ablehnend oder gar verurteilend gegenüber zu stehen und somit den eigenen Horizont zu erweitern. Daher lasst uns diesen Spruch beherzigen: Urteile über keinen Menschen, wenn du nicht sieben Meilen oder einen Mond in seinen Schuhen gelaufen bist.

Jetzt bin ich natürlich schon ganz gespannt auf deine Meinung: Wo ist dir diese Vorverurteilung schon untergekommen? Welche Unterschiede fallen dir selbst immer wieder auf? Wo besteht die Gefahr, über andere vorschnell ein unbegründetes Urteil zu fällen, vielleicht aus Gewohnheit, aus Erfahrung, aus Unüberlegtheit?