Gedankenplauderei

Mach Platz – jetzt komme ich!

Himmelstreppe-Wonderfulfifty

Die Sommerlaune macht sich breit – das Wetter verwöhnt uns mit herrlichen Sonnenstrahlen und wir können uns jetzt auf einige wunderbar laue Sommerabende freuen. Das Sonnenkind in mir schlägt gleich ein paar Purzelbäume und so starte ich mit bester Stimmung in den Tag – ja, auch als Morgenmuffel schaffe ich einen entspannten Morgen, wenn mich bereits in der Früh die Sonnenstrahlen kitzeln und ich nur mit luftiger Kleidung das Haus verlassen kann.

So schnappe ich mir meinen Einkaufskorb und beschwingt geht’s ab in den nächsten Supermarkt. Uii, da ist ja heute was los – kommt leicht einer neuerlicher Lock-Down? Kaufen die Menschen schon wieder Unmengen an unerklärlichen Produkten auf Vorrat? Nein, nein, ganz einfach – es ist Wochenende und da ich gerne quasi antizyklisch kaufe und diese Stoßzeiten nach Möglichkeit vermeide, bin ich diesen Massenauflauf zwischen den Regalen und vor den Kühlfächern nicht so wirklich gewohnt. Aber was soll’s – rein ins Geschehen, in meiner Sommerlaune können mich auch diese Menschenmassen jetzt nicht erschüttern.

 

Etwas mehr Respekt – bitte!

Nachdem sich mein Einkaufskorb so nach und nach gefüllt hat, lande ich vor den Kassen und da gibt es die nächste Menschenschlange – schön mit entsprechendem Abstand stehen die Menschen mit ihren Einkäufen angestellt und ich reihe mich ordentlich hinten an. Bald bin ich auch schon nicht mehr das letzte Glied der Kette.

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Da kommt plötzlich eine etwas ältere, agile Frau mit ihrem Einkaufswagen um die Ecke und reiht sich ohne Zögern einfach vorne in die Schlange ein. Zuerst schauen einige ungläubig, ein paar schütteln den Kopf und eine Frau vom Ende der Reihe ruft schließlich: „Hallo, bitte hinten anstellen!“ Der Kopf der älteren Dame schnellt herum – ja, sie hat sich sofort angesprochen gefühlt – und da kommen dann auch prompt von ihr Aussagen „Ich bin ja schon länger im Geschäft als ihr“, „Ich bin schon auf der Hüfte operiert“, „Ihr werdet euch schon noch alle anschauen“. Was passiert da jetzt? Bin ich im falschen Film? Woher kommen jetzt diese unverhältnismäßig aggressiven Worte, die doch in keinem Verhältnis zu der Aufforderung der anderen Frau stehen?

Ich denke, so ziemlich jeder hätte wohl auf eine höfliche Nachfrage hin, die Frau mit ihrem Einkaufswagen vorne einreihen lassen – vielleicht dann noch ein kleines Danke von ihr für die entgegengebrachte Rücksichtnahme und alles wäre friedlich verlaufen. Aber zuerst diese Selbstverständlichkeit, mit der sie sich einfach wortlos vorne in die Reihe gestellt hat, und dann diese hingeworfenen Sätze rufen schon ein bisschen Unverständnis unter den Anwesenden hervor. Es ist nur eine Kleinigkeit, ein kleines wahrscheinlich nebensächliches Erlebnis und trotzdem haben mich die Gedanken daran etwas verfolgt.

 

Oma und die „Ehrung der Alten“

Haben die älteren Menschen mehr Respekt und Rücksichtnahme als jüngere verdient? Wenn ja: Warum ist das so? Begründet sich dies dann alleine nur auf ihrem Alter oder fließen hier auch noch andere Punkte ein? Gibt einen Grund oder eine Berechtigung dafür, als älterer Menschen mit besonderer Bevorzugung behandelt zu werden?

Wenn wir mal kurz einen Blick ins fernere Ausland werfen und nach Japan blicken, dann sehen wir gleich einmal einen hohen Anteil an alten Menschen. Dort gibt es aber auch seit 1966 einen Feiertag, der sich „Tag der Ehrung der Alten“ oder 敬老の日 (Keirō no Hi) nennt. Am dritten Montag im September, also heuer am 21. September wird dieser Feiertag begangen und ist mit dem Respekt gegenüber der älteren Generation gekennzeichnet. Im asiatischen Raum erhalten die Menschen im Alter eine besondere Anerkennung und sie werden für ihre Leistungen und Erfahrungen geehrt.

Wir stellen uns dabei meist gleich mal so eine alte, faltige, grauhaarige Frau vor, wie sie mit ihrem gutmütigen Gesicht auf ihre Mitmenschen eingeht, wie sie mit allen freundlich und höflich spricht, wie sie mit anderen gerne das Wissen teilt, das sie sich in ihrem langen Leben erarbeitet hat, und wie sie die Jüngeren geduldig mit klugen Ratschlägen bei Anliegen unterstützt.

Ja, da gibt es so Menschen wie unsere Oma, auf die wir gerne Rücksicht nehmen, deren

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Meinung wir schätzen und die unseren Respekt hat. Wenn wir mit ihr einen Spaziergang machen, dann achten wir darauf, dass er für sie nicht zu anstrengend wird. Wenn sie einen speziellen Wunsch äußert, dann gehen wir gerne auf ihre Anliegen ein. Wenn sie eine andere Meinung vertritt, dann respektieren wir ihre Ansicht. Das machen wir gerne für sie, weil uns persönlich etwas an ihr liegt, und nicht nur, weil unsere Oma eben eine ältere Person ist und schon auf eine längere Lebenszeit zurückblicken kann.

Aber das beruht hier auch auf Gegenseitigkeit – für unsere Oma ist unsere Rücksichtnahme nicht selbstverständlich, sie betrachtet sie nicht als etwas, das ihr ohnehin zusteht, sondern bedankt sich dafür; wenn sie mal einen Wunsch hat, dann spricht sie dies freundlich an und plädiert dabei nicht auf ihr Alter oder stellt Forderungen wie etwa „Ich bin alt – mir steht das und das zu!“ oder „In meinem Alter kann ich das und das von euch erwarten!“?

Natürlich sind ältere Menschen gerne mal gebrechlich und nicht sicher auf den Beinen, sie kommen teilweise mit modernen Errungenschaft nicht zurecht und verhalten sich umständlich oder langsam und etwas unbeholfen. Sie haben vielleicht immer mal wieder andere Bedürfnisse, auf die viele Mitmenschen auch mit einer Selbstverständlichkeit eingehen. Aber es sind nicht alle alten Menschen so gestrickt wie unsere Oma, sondern da dürfen wir auch Anderes erleben und vor allem in der letzten Zeit habe ich dies ein paar Male vermehrt bei älteren Menschen beobachten können.

Es gibt nämlich sehr wohl auch alte Menschen, die von der jüngeren Generation einfach nur aufgrund ihrer Lebenszeit Respekt verlangen und erwarten, ja ihn regelrecht teilweise sogar lautstark einfordern. Sie setzen sich dabei meines Erachtens über die Regeln eines höflichen Zusammenlebens hinweg, wenn sie dabei die anderen mit unnötig aggressiven Tönen auffordern, sich gefälligst nach ihnen zu richten und auf sie Rücksicht zu nehmen.

 

Wir gehen wieder in den Supermarkt

Um jetzt nochmals auf den Supermarkt zurückzukommen, hier gibt es doch immer wieder Situationen oder Begebenheiten, wo ich Rücksicht auf andere nehme, wo es für mich irgendwie selbstverständlich ist, diese etwa in der Schlange vor der Kassa vorreihen zu lassen. Das kann die Mutter mit den zwei quengelnden Kindern sein, die ständig etwas Anderes von den Regalen schnappen, die hin und her stoßen und die sich von den Beschwichtigungsversuchen der Mutter in keinster Weise beeindrucken lassen. Das kann der Mann in Handwerkskleidung sein, der nur ein einziges Stück für den Einkauf in der Hand hält. Das kann der Junge mit dem Gipsfuß sein, das kann die alte Frau sein, die sich unsicher und behäbig mit ihrem Einkaufswagen bewegt. Das kann aber auch die junge Dame sein, die höflich fragt, ob sie sich vorreihen darf, weil sie mit der Zeit etwas knapp ist.

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Das hat dann für mich nichts mit einem bestimmten Alter, mit einem bestimmten Geschlecht, einer bestimmten Nationalität oder was auch immer zu tun. Da ist einfach ein Mensch, für den in diesem Fall ein langes Anstehen in der Schlange mühsamer ist als für mich. Doch es ist nicht selbstverständlich und es gibt Situationen, in denen dies eben auch mal nicht möglich ist – es hat dann meines Erachtens ein anderer nicht das Recht aufgrund irgendeiner persönlichen Eigenschaft oder Ausprägung wie in diesem Fall eben des Alters diese Bevorzugung einzufordern. Das ist etwas, das freiwillig gegeben werden muss und um das gegebenenfalls höflich gebeten werden kann.

Dieses Beispiel lässt sich jetzt natürlich auf viele andere Begebenheiten in unserem alltäglichen Leben übertragen – sei es die Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, wo anderen vielleicht der eigene Sitzplatz angeboten wird, sei dies am Buffet, wo wir anderen den Vortritt lassen oder ihnen behilflich sind. Daher sehe ich nicht den Grund darin, automatisch nur aufgrund des Alters anderen besonderen Respekt entgegenzubringen – nicht jeder alte Mensch ist gebrechlich, nicht jeder alte Mensch hatte Operationen, nicht jeder alte Mensch hat Schwierigkeiten mit modernen Technik und last but not least nicht jeder alte Mensch will eine besondere Behandlung.

 

Respekt ist keine Selbstverständlichkeit

Andererseits gibt es sehr wohl auch junge Menschen, deren Verhalten anderen gegenüber absolut nicht angemessen ist, die keinerlei Respekt zeigen und auf niemanden Rücksicht nehmen. Sie fordern zwar für sich selbst Respekt ein, sind aber keineswegs gewillt, diesen anderen zu erweisen. Wir brauchen dazu nur die mutwilligen Beschädigungen und Zerstörungen denken, die immer mal wieder von Jugendlichen verursacht werden – hier wird keine Rücksicht auf das Eigentum anderer genommen und sie treten deren Werte mit Füßen. Für sie bedeutet Respekt vorrangig – ihr müsst mich mit Respekt behandeln, ihr müsst Rücksicht auf mich nehmen, egal wie ich mich euch gegenüber verhalte. Doch Rücksichtnahme ist keine einseitige Angelegenheit – wie kann ich Respekt erwarten, wenn ich anderen keine gewähre?

Respektloses Verhalten finden wir wohl in allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten und kann sich in den unterschiedlichen Formen äußern. Das reicht von einer herablassenden Behandlung, von einem Übergehen der Bedürfnisse anderer, von einem Hinwegsetzen über die gesellschaftlichen Regeln bis zu ungerechtfertigten Angriffen und Beschimpfungen und kann uns im Familien- und Freundeskreis, in der Nachbarschaft, im Berufsleben und auch im sonstigen allgemeinen öffentlichen Leben begegnen.

 

Respekt – die Kunst der gegenseitigen Wertschätzung

Wir sollten einander so behandeln wie wir selbst behandelt werden wollen, egal ob jung oder alt, ob groß oder klein, ob Mann oder Frau, ob Handwerker oder Manager. Respekt verdient für mich der Mensch durch seine Handlungen, durch seine Verhaltensweisen und hat mal vorrangig nichts nur mit dem Alter oder anderen Äußerlichkeiten zu tun.

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Ältere Menschen sollen junge Menschen mit Respekt behandeln, aber auch junge Menschen mit Respekt auf die Älteren zugehen. Vorgesetzte sollen ihre Mitarbeiter entsprechend behandeln, die Mitarbeiter aber auch dem Vorgesetzten angemessen gegenübertreten. Amtspersonen sind angewiesen, die Klienten entsprechend zu behandeln, von den Klienten wird aber auch respektvolles Verhalten gegenüber den Amtspersonen vorausgesetzt. Ein harmonisches Zusammensein kann nur mit gegenseitiger Beteiligung erfolgen, dabei ist es keine Voraussetzung, dass ich diese Person besonders mag oder sie mir besonders sympathisch ist. Ich muss mit der Kollegin nicht befreundet sein, um ihre Arbeit zu schätzen und einen respektvollen Umgang zu pflegen, ich muss den Kontrolleur nicht mögen, dennoch kann die Kontrolle des Ausweises freundlich erfolgen und die Kassiererin muss mir nicht sympathisch sein, um sie trotzdem höflich zu behandeln.

So um jetzt nochmals den Bogen zum Beginn zu schaffen: in Japan gibt es den Tag zur „Ehrung der Alten“ – es gibt aber genauso einen Tag für die Kinder, den こどもの日 (kodomo no hi) am 5. Mai, ein Tag, der den Kindern gehört und an dem ihnen Glück und Gesundheit gewünscht wird.

 

Aus der wunderbar sommerlichen Einleitung ist jetzt doch ein etwas kritischer Text geworden, zudem es sicherlich die unterschiedlichsten Meinungen dazu gibt. Ich bin daher natürlich schon total gespannt, von deinen Erfahrungen diesbezüglich zu lesen: Hattest du auch schon mal ein Erlebnis, bei dem jemand respektlos für sich etwas eingefordert hat? Hat Respekt dabei etwas mit dem Alter zu tun – sind ältere Menschen mit mehr Respekt zu behandeln? Wer verdient deiner Meinung nach besonderen Respekt und welche Personen verhalten sich am respektlosesten?