Gedankenplauderei

Du hast es geschafft! – Was muss ich noch schaffen?

SchlossEsterhazy-Wonderfulfifty

Ihr kennt doch sicher auch diese Klassentreffen, Maturatreffen, Abschlusstreffen und wie sie noch alle heißen mögen? Da flattert alle fünf oder zehn Jahre eine Einladung ins Haus, die uns zu diesem Wiedersehen motivieren soll. Ein Wiedersehen mit Menschen, mit denen wir vor kurzem oder auch irgendwann einmal die Schulbank gedrückt haben, mit denen wir vor Prüfungen und Schularbeiten geschwitzt haben, mit denen wir Spaß hatten, wobei es zwischen manchen auch mal zu Auseinandersetzungen oder zum Streit gekommen ist. Mit einigen wenigen haben wir noch regelmäßig Kontakt, von manchen hören wir sporadisch und manche sind komplett aus unserem Sichtfeld verschwunden.

So durfte auch ich vor einiger Zeit ein derartiges Treffen besuchen und was gehört zu so einer Zusammenkunft doch meistens dazu? Es folgt natürlich gleich ein kurzes Update zur Lebenssituation der einzelnen Personen. Was machst du denn beruflich? Hast du einen Partner? Hast du Kinder? Das sind wohl die Standardfragen, die hier gerne so auftauchen.

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Da berichtet eine vom plötzlichen Tod ihres Gatten, der sie mit drei Kindern und einem halbfertigen Haus zurückließ. Trotz mangelnder Unterstützung der Familie ist es ihr gelungen, ihren Beruf auf Teilzeitbasis auszuüben, die Kinder entsprechend zu versorgen und das Haus fertigzustellen. Ihre Kusine, die mit uns die gleiche Klasse besucht hat, erzählt von ihren Erfolgen und ihrer Karriere als Ärztin, ihre beiden Kinder wurden von einem Kindermädchen betreut und später in einem Internat untergebracht.

 

Und jetzt ratet mal, wie die Reaktion abgelaufen ist, was die ehemaligen Mitschüler dazu gesagt haben? Bei so viel Klischee ist die Antwort ja nicht gerade schwer – da fielen doch gleich so Aussagen „Was für eine bewundernswerte Frau“, „Was für eine beeindruckende Leistung“ und schließlich immer mal wieder „Die hat es geschafft“. Die Ärztin wurde von vielen bestaunt und ihre Kusine nicht weiter beachtet. Irgendwie stimmte mich diese Situation doch etwas nachdenklich – ist es wirklich so, dass die eine es geschafft hat und die andere nicht? Was ist denn damit nun wirklich gemeint?

 

Schaffen, schaffen, schaffen

Ja, was verbirgt sich nun hinter diesem Ausdruck, den wir doch täglich in den verschiedenen Formen hören? In welchen Fällen wird dieses Wort überhaupt verwendet? Lasst uns doch schnell mal ein kurzes Brainstorming machen – was fällt euch dazu ein? Womit verbindet ihr diesen Ausdruck? Her mit euren Vorschlägen und Ideen:

  • Er hat die Prüfung geschafft.
  • Sie hat es geschafft, rechtzeitig zum Meeting zu kommen.
  • Er hat eine tolle Präsentation geschaffen.
  • In der Galerie kann das Schaffen des Künstlers bewundert werden.
  • Ich habe im Regal Platz für die neuen Bücher geschaffen.
  • Dieses wechselhafte Wetter macht ihr zu schaffen.
  • Er ist für diesen Sport nicht geschaffen.
  • Ich habe heute viele Punkte meiner To-Do-Liste geschafft.
  • Sie hat es geschafft, ihre Freundin vom Konzertbesuch zu überzeugen.
  • Der Einbrecher hat sich an der Haustür zu schaffen gemacht.
  • Diese Herbsttage sind für schöne Wanderungen geschaffen.
  • Der Knirps hat gleich mal die Süßigkeiten für sich zur Seite geschafft.

Aber dieser Begriff begegnet uns auch immer wieder in Aufforderungen, wie etwa wenn sich die Kollegen am Morgen mit einem „Frohes Schaffen“ am Arbeitsplatz begrüßen. Doch auch in die Musik hat es dieses Wort geschafft – so gibt es unter anderem den Song „Schaffe, schaffe, Häusle baue“.
Ein vielfältiges Wort, dieses „Schaffen“ und es kann für so viele Bedeutungen eingesetzt werden.

Aber eigentlich will ich ja auf etwas ganz Anderes hinaus – also schnell die Kurve kratzen und wieder

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zum ursprünglichen Thema zurückfinden. Die Ausgangssituation: es ist also bei diesem Treffen die Aussage gefallen „Sie hat es geschafft“. „Schaffen“ haben wir jetzt mal abgehakt – worauf bezieht sich also dieses „es“, das sie geschafft hat, das ihr gelungen ist. Ohne jetzt wirkliche Details zu kennen, gehen dabei doch sicher jedem gleich ein paar Assoziationen durch den Kopf. Diese Worte werden von jedem wohl gleich mit bestimmten Leistungen, Werken oder Dingen verbunden und jeder hat ein Bild vor Augen, was damit gemeint sein könnte. „Sie hat es geschafft“ setzt doch implizit voraus, dass sie etwas geleistet hat, dass sie ein Ziel erreicht hat, vielleicht auch, dass ihr etwas gelungen ist, für das ihr die anderen Anerkennung entgegenbringen.

Ich weiß nicht, ob ihr auch diesen Spruch kennt, der durch die früheren Generationen gegeistert ist und dessen Urheber keiner so wirklich kennt – „Ein Mann soll in seinem Leben einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und einen Sohn zeugen“. In ähnlicher Form wurde schließlich auch mal der Werbeslogan „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ verwendet. OK, das sind jetzt sicherlich veraltete Ausdrücke und auch Ansichten, aber sie decken den Grundgedanken vieler in ähnlicher Form ab.

Wenn es jemand geschafft hat, dann machen dies viele wahrscheinlich an irgendwelchen Statussymbolen fest. Hast du sein tolles Auto gesehen – der hat es geschafft. Diese riesige Villa gehört ihnen – sie haben es wirklich zu etwas gebracht. So wird doch gerne geurteilt. Egal wie es dahinter wirklich aussieht, ob eventuell das Auto geleast ist und ihm aktuell noch gar nicht gehört, ob das Haus nur mit Schulden errichtet ist und quasi Eigentum eines Bankinstitutes ist. Viele Menschen gehen einfach mal nach den optischen Eindrücken, die für alle leicht ersichtlich sind. Doch so einfach ist es ja nun wohl nicht, diese Frage zu beantworten.

 

Es geschafft haben oder etwa doch nicht?

Wer kann also jetzt wirklich beurteilen, ob es ein Mensch geschafft hat? – Da stolpere ich ja regelrecht von einer Frage zur nächsten, von einer Überlegung zur nächsten:

  • Heißt es geschafft haben, wenn jemand einen Partner hat und verheiratet ist, wenn jemand Kinder hat? Aber was ist dann mit einem Single ohne Kinder, kann es der nicht doch auch geschafft haben, es zu etwas gebracht haben?
  • Heißt es geschafft haben, eine Immobilie zu besitzen, der Eigentümer eines Hauses oder einer Wohnung zu sein? Aber was ist dann mit jenen Menschen, die aus diversen Gründen immer wieder mal umziehen, sei es in eine andere Stadt, ein anderes Land oder auf einen anderen Kontinent oder auch aus anderen Überlegungen ein Mietobjekt einfach vorziehen, können diese es nicht auch geschafft haben?
  • Heißt es geschafft haben, der CEO in einer großen Firma zu sein oder selbst eine Firma gegründet zu haben? Aber was ist dann mit den Menschen, die täglich gute Arbeit leisten, ohne in einer Führungsposition zu sein, können diese es nicht auch geschafft haben?
  • Heißt es geschafft haben, ein bestimmtes Gehalt zu beziehen oder einen bestimmten Betrag auf dem Konto zu haben? Aber was ist mit den Menschen, die ein niedriges Gehalt beziehen und ein einfaches Leben führen, können diese es nicht auch geschafft haben?

Ja, ich denke, da gibt es sicherlich keine tatsächlich objektiven Kriterien, keine generelle Punkteliste, die abgehakt werden kann und aus der jetzt genau ermittelt werden kann, wer es geschafft hat und wer nicht. Wenn wir dazu das Thema Immobilie nochmals aufgreifen: ist eine 1-Zimmer-Eigentumswohnung als „es geschafft haben“ zu betrachten oder muss es dazu doch eine Wohnung mit einer größeren Quadradtmeterzahl sein, muss diese vielleicht auch noch in einem bestimmten Stadtteil liegen? Oder den finanziellen Stand betrachtet: ab welcher Gehaltshöhe gilt es als geschafft, ab welchem finanziellen Polster ist dieser Betrag anzusetzen? Sind das 50.000 €, 100.000 € oder was ist hier als die Grenze anzusehen?

Es lassen sich dazu wohl keine einheitlichen Regeln finden, um hier eine exakte Kategorisierung durchzuführen, um diese Definition objektiv zu gestalten. Wir haben also noch immer keine wirklich befriedigende Antwort gefunden, da tut sich auch schon der nächste Gedanke auf:

 

Muss ich etwas schaffen?

Manche Menschen haben das Gefühl, die anderen trauen ihnen nichts zu; das kann an Ereignissen in der Kindheit liegen, das kann an den Freunden und Bekannten liegen, das kann auch einfach an der Person selbst liegen. Es kommt dabei aber natürlich immer auch auf das soziale Umfeld an, aus dem dem ein Mensch stammt und in welchem er lebt. Dieses färbt – ob bewusst oder unbewusst – auch in irgendeiner Form auf das Leben ab, führt zu Anforderungen und Überlegungen und hat seine Auswirkungen auf die Einstellung dieser Personen.

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Aus irgendeinem Grund sind manche Menschen also der Meinung, die anderen haben ihnen das Prädikat „Loser“ aufgedrückt. Sie denken, dass die anderen ohnehin glauben, dass sie nichts zuwege bringen. Dann kann es in solchen Fällen auch zu einer Art Trotzreaktion kommen – so nach dem Motto „Jetzt, erst recht – ich zeige euch, was ich kann“ motivieren sie sich und mit dem Gedanken „Ich muss es schaffen“ packen sie ihr Leben an.

Ja, diese Menschen setzen sich dabei dann doch selbst ständig einem immensen Leistungsdruck aus – sie wollen Erfolg haben, nein sie müssen in ihren Augen Erfolg haben. Ihr Leben ist nur mehr auf das eine Ziel ausgerichtet, es den „anderen zu zeigen“, sie arbeiten mit großer Anstrengung daran, ihren eigenen Anforderungen gerecht zu werden und sind dabei auch vielleicht etwas zum Handlanger der eigenen Gedanken geworden.

Ein Ziel zu haben, sich Aufgaben zu stellen ist natürlich eine sinnvolle und wichtige Einstellung, doch dabei sollten wir uns nicht überfordern und vielleicht mal statt „Was müssen wir schaffen?“ besser „Was wollen wir schaffen?“ fragen.

 

Was bedeutet für mich, es geschafft zu haben?

Es geschafft zu haben bedeutet meines Erachtens für jeden Menschen etwas Anderes, jeder hat andere Vorstellungen oder auch andere Ansprüche an das Leben. Während einer kein Interesse an einem Auto hat, ist es für einen anderen ein Lebenstraum, eine bestimmte Automarke zu fahren. Während für den einen der Beruf die Erfüllung bringt, zählt für den anderen vor allem das Privatleben und seine Freizeitaktivitäten. Während der eine gerne Überstunden macht, um seinen Finanzpolster weiter aufzubauen, will der andere lieber eine Arbeitszeitverkürzung, auch wenn er dann weniger Geld zur Verfügung hat.

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Wir sollten uns dabei aber nicht von der Bewertung der anderen Menschen abhängig machen. Sicherlich freuen sich die Menschen, wenn sie Anerkennung von anderen erhalten, aber es ist doch wichtig, dass es für uns passt. Das kann nun eine kleine Mietwohnung, das kann eine Eigentumswohnung, das kann ein Haus am Lande oder auch eine Penthousewohnung sein – entscheidend ist doch, dass es den eigenen Bedürfnissen entspricht. Was bringt denn der „tolle“ Job, diese für andere beeindruckende Position in einer Firma, wenn wir doch jeden Tag mit Bauchweh das Firmengebäude betreten, wenn wir nächtelang über unseren Arbeitstag grübeln, wenn wir uns nur gestresst fühlen? Das kann doch nicht bedeuten, dass es jemand geschafft hat, wenn er jeden Morgen schon mit der großen Last im Nacken aufsteht. Es sieht für die anderen nach außen hin vielleicht toll aus, aber es geht doch dabei nicht um den Status oder?

Da können die anderen sagen, was sie wollen; was soll es uns denn tangieren, wenn wir es nach deren Meinung eigentlich zu nichts gebracht haben? Wer hat denn das Recht, über das Leben der anderen zu urteilen, wer kann denn entscheiden, was hier richtig oder falsch ist? Wer kann denn bestimmen, was das „es“ in der Phrase „es geschafft haben“ bedeutet?

Ich denke, geschafft haben wir es, wenn wir uns von den Urteilen der anderen losmachen können. Wenn wir nicht diese Worte „Wos sogn d’Leit“ im Hinterkopf haben, wenn wir uns nicht danach richten, wie andere unser Leben bewerten, wie andere unser Vorgehen und unsere Handlungen sehen. Wichtig ist doch, wie wir es selbst beurteilen. Wenn wir es „geschafft“ haben, ein glückliches Leben zu führen, wenn für uns unser Beruf, unsere familiäre Situation passen, wenn wir mit unserem Dasein zufrieden sind, dann ist das doch das Beste, was uns in unserem Leben passieren kann, dann haben wir „es“ doch eindeutig geschafft. Wenn wir zufrieden auf unser Leben blicken können und dabei nickend sagen „Ja, so fühle ich mich wohl“.

 

So, jetzt ist es aber geschafft – da ist ja schon wieder, dieses Wort – du bist also am Ende des Beitrags angelangt und ich übergebe dir gerne nun das Wort. Ich bin nämlich total gespannt auf deine Meinung und freue mich schon riesig auf unsere Diskussion:

Was bedeutet in deinem Leben, etwas zu schaffen? Was sollen wir schaffen und welche Menschen haben es für dich geschafft?