Gedankenplauderei, Lifestyle

Eine Gefühlspalette auf dem Weg zur Normalität

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Es ist passiert – genau vor einer Woche habe ich meine erste Impfung gegen das Corona-Virus erhalten. Ja, denn seit Anfang Mai ist für meine Altersgruppe – auch ohne irgendwelche Priorisierungen wegen Vorerkrankungen, wegen Systemrelevanz oder vielleicht auch wegen entsprechendem Vitamin B – die Anmeldung zur Impfung freigeschaltet worden. Meine Vorfreude war gleich mal riesengroß, als ich schließlich einen Impftermin zugeteilt bekommen habe – in meine Begeisterung hat sich dann aber auch mal ein Gedanke geschlichen: „Wie ungewohnt ist es doch, sich über eine bevorstehende Impfung zu freuen.“

Bisher war es für uns einfach selbstverständlich – wollten wir etwa eine Tetanusschutzimpfung, dann sind wir zum Arzt marschiert und haben uns eben das Jaukerl verpassen lassen. Da war keine Überlegung oder besondere Planung oder vielleicht gar eine Warteliste erforderlich – nun aber diese aktuelle Situation, die für uns durch dieses Virus neu und fremd ist.

Doch damit nicht genug, plötzlich interessiert auch die anderen, wie es uns nach der Impfung geht, welche Nebenwirkungen wir haben, wie wir uns fühlen und es wird teilweise ein richtiger Hype darum gemacht. Wenn ich hingegen an meine Kindheit denke, da sind wir klassenweise zur Impfung angetreten und die halbe Klasse ist am nächsten Tag mit einem schmerzendem oder geschwollenem Arm dagesessen. Keiner der Eltern oder Lehrer hat dem dabei irgendeine besondere Beachtung beigemessen, sondern es als normale Impfreaktion gesehen. Das ist dann auch im weiteren Verlauf des Lebens so geblieben oder hat euch schon mal jemand gefragt: „Wie geht es dir nach der Zeckenschutzimpfung?“

 

Im Gefühlschaos

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Die Meisten von uns sind wohl im letzten Jahr vom ersten Auftreten des Virus bis zu den derzeitigen Lockerungsmaßnahmen durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Gefühlen gegangen:

  • Sorge: Was kommt da mit diesem Virus auf uns zu? Was bedeutet das für unser Leben und das Leben der Mitmenschen? Wer wird daran erkranken oder gar sterben?
  • Ungläubigkeit: Kann das wirklich sein, dass sich so ein kleines „Was“ von China aus in die ganze Welt verbreitet? Kann es wirklich sein, dass sich so viele Menschen in so kurzer Zeit daran anstecken?
  • Angst: Wie wird sich dieses Virus auf unser zukünftiges Leben auswirken? Was wird mit unserem Arbeitsplatz nach der Pandemie sein?
  • Ärger: Warum halten sich Menschen nicht an die Regeln und gefährden damit nicht nur sich selber, sondern auch andere Menschen? Warum wird immer nur von den negativen Seiten berichtet: wie viele Infizierte es gibt, wie viele eine Reaktion auf den Impfstoff zeigen?
  • Enttäuschung: Weil eine lang geplante Feier abgesagt, weil eine Hochzeit verschoben werden muss, weil das Weihnachtsfest nicht mit der ganzen Familie gefeiert werden kann, weil das Treffen mit den Freunden nicht abgehalten werden kann, weil eine Veranstaltung nicht stattfinden kann.
  • Unsicherheit: Wie lange wird uns das Virus noch in seinem Bann halten? Wird es überhaupt ein Ende geben? Werden bestimmte Einschränkungen länger oder für immer bleiben? Wann wird ein Treffen mit Menschen im Ausland wieder möglich sein, im Sommer, zu Weihnachten oder überhaupt erst nächstes Jahr?
  • Vorfreude: weil Impfungen in Aussicht gestellt werden, weil Lockerungen für den Sommer angekündigt werden, weil wieder Veranstaltungen geplant werden.

 

Was kommt jetzt?

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Nun sind wir auf dem Weg zur Normalität – durch das Impfen wird ein Großteil der Normalität wieder hergestellt werden. Diese und ähnliche Schlagzeilen hören wir in der letzten Zeit vermehrt und der Drang vieler Menschen nach der Rückkehr der Normalität wird gefordert und ungeduldig herbeigesehnt.

Wenn wir am Wochenende mal kurz einen Blick auf die Autobahn geworfen haben, wie sich hier die Autos Stoßstange an Stoßstange vorwärts bewegt haben und die Autoschlange immer wieder Staus verursacht hat, dann hat mich das doch gleich sehr an die Zeit vor der Pandemie erinnert, an die Pfingsturlauber, die sich auf den Weg gemacht haben. Es hat dabei doch gleich auch eine Normalität widergespiegelt, eine Normalität, die wir uns vielleicht in dieser Form aber gar nicht zurückgewünscht haben.

Überfüllte Straßen und Staus sind zwar ein typisches Bild zu Pfingsten oder vielleicht auch ein normales Bild, ein Bild, an das wir zu dieser Zeit gewöhnt haben. Ob es jedoch generell normal ist, dass sich so viele Menschen hier gleichzeitig auf den Weg machen, dann stundenlang Zeit in ihren Autos verbringen, weil sie eben irgendwo im Stau gelandet sind, steht auf einem anderen Blatt.

 

Pandemie und Maiwetter

Neben der Pandemie, dem aktuellen Stand der Infizierten, aber auch der Geimpften, den Einschränkungen und Lockerungsmaßnahmen beherrscht ein weiteres Thema – und das ist wohl schon so alt wie es Menschen gibt – die Gespräche und dabei handelt es sich natürlich um das Wetter. Wenn ich bei tagelangem Regenwetter und Temperaturen um 10 Grad Ende Mai den Ofen wieder einheize und mich mit meinem Buch auf die Couch verziehe anstatt in den strahlenden Sonnenschein, dann ist das für mich doch ungewohnt.

Dieses Maiwetter ist heuer nicht normal hören wir, der kälteste Mai seit vielen Jahren hören wir. Nach einem durchwachsenen März, einem launischen April hält auch der Wonnemonat Mai bisher keine Wonne für uns bereit – da wir einen Mai mit luftigen Kleidern, mit Sonnenschein, mit köstlichem Eis und frühlingshaften oder fast schon sommerlichen Temperaturen verbinden, entspricht das Tragen von Pullovern Ende dieses Monats nicht unseren Vorstellungen und Erfahrungen, sondern läuft aus dem gewohnten, normalen Schema. Genauso wie es dem kleinen Virus egal ist, was wir denken, was wir wollen, was für uns normal ist, ist es auch dem Wetter egal, was wir als Normalität ansehen.

 

Normalität im Alltag

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Normalität bedeutet für uns eigentlich etwas, das wir in einer bestimmten Form gewohnt sind, wir sind gewohnt, nach Belieben ein Cafe zu besuchen, wir sind gewohnt, in ein Museum zu gehen, wir sind gewohnt, im Restaurant zu speisen, wir sind gewohnt, in Urlaub zu fahren. Damit ist noch nicht gesagt, ob diese Gewohnheit nun gut oder schlecht ist – es liegt also keine eigentliche Bewertung vor. Wir sind es gewohnt, nach der Arbeit eine Serie zu streamen, wir sind es gewohnt, zum Frühstück ein Croissant zu essen, wir sind es gewohnt, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren – wir wissen, dass so Manches, was wir tun oder essen, nicht gut oder gesund ist, für uns oder auch für andere – aber wir sind es einfach gewohnt, für uns gehört es normalerweise dazu und es ist verdammt schwierig, uns von Gewohnheiten zu lösen, auch wenn dies eben manchmal für uns besser wäre.

Daher ist wohl vielen Menschen dies auch in der Pandemie so schwer gefallen, sie können nicht ihrem gewohnten Tagesverlauf nachgehen, sie müssen auf gewohnte Tätigkeiten verzichten und dabei geht es vielleicht sogar nicht immer um die Sache an und für sich, sondern vor allem darum, dass unsere Gewohnheit unterbrochen und eine Neuausrichtung erwartet wird. Plötzlich wird das Leben auf den Kopf gestellt, liebgewonnene Tätigkeiten sind nicht mehr möglich oder nur in einer anderen Form. Bisher nicht bekannte Vorgehensweise müssen in unsere Lebensform eingebunden werden. So haben wir etwa bisher beim Verlassen der Wohnung meist nach dem Handy und der Geldbörse gegriffen, nun hat mittlerweile diese FFP2-Maske dies erweitert und die meisten sind es wohl schon gewohnt, immer eine MNS-Maske bei sich zu führen und auch entsprechend anzuwenden.

 

Was soll gehen?

Einschränkung im kulturellen Bereich
Kulturelle Veranstaltungen sind besonders von den Einschränkungen betroffen gewesen und unterliegen auch jetzt noch strengen Auflagen. Obwohl auch hier im letzten Jahr teilweise auf Online-Medien zurückgegriffen oder nach sonstigen Alternativen gesucht wurde, freue ich mich besonders, wenn ich dies wieder vor Ort erleben darf. Es ist doch einfach nicht zu vergleichen, einem Musical im Raimundtheater beizuwohnen oder in den samtigen Stühlen in der historischen Staatsoper zu sitzen und den Tänzern bei einer kunstvollen Ballettaufführung zuzusehen anstatt dies vor dem Bildschirm zu verfolgen. Damit verbinde ich ein eigenes Flair, eine besondere Stimmung, die dann in der Luft liegt, auf die ich auch in Zukunft nicht gerne verzichten möchte, auch wenn damit weiterhin Sicherheitsauflagen einhergehen.

Reiseeinschränkungen
Obwohl wir in unserem Land wirklich schöne Ecken haben und diese sich wunderbar für einen Spaziergang, einen Tagesausflug oder auch einen mehrtägigen Aufenthalt anbieten, freue ich mich sehr, wenn die Reiseeinschränkungen für andere Länder wieder aufgehoben werden und um jetzt mal ganz egoistisch zu sein, betrifft es für mich eigentlich vorrangig mal nur Japan. Dabei geht es mir nicht um eine Reise an und für sich, sondern einfach mal wieder um ein Treffen für die ganze Familie, egal wo das nun schlussendlich stattfindet.

 

Was darf bleiben?

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Wertschätzung
Bevor diese Pandemie unser Leben in den meisten Bereichen stark beeinflusst hat, ist vieles für uns zur Selbstverständlichkeit geworden, ohne von uns wirklich bewusst geachtet zu werden: wenn wir da etwa nur mal an unser Gesundheitssystem denken, wie gut wir doch versorgt werden. Dazu musste erst dieses Virus kommen und uns deutlich zeigen, dass es doch nicht selbstverständlich ist, gleich einen Operationstermin zu erhalten, eine Impfung nach Wunsch zu bekommen. Diese Wertschätzung den Menschen in der Gesundheitsbranche gegenüber, die in dieser Zeit für viele wichtiger waren als jeder noch so berühmte und bejubelte Superstar, soll auch nach dem Abklingen der Pandemie erhalten bleiben.

Abstand
Ich stamme aus einer Gegend, die auch immer wieder gerne die „Handgeber“ genannt wird, denn hier wird das Drücken des Patschhändchens bei der Begrüßung von sehr vielen regelrecht zelebriert. Dennoch halte ich gerne Abstand zu fremden oder eben mir nicht so nahen Menschen und habe daher kein Problem damit, wenn diese Tradition nicht wiederbelebt wird. Natürlich mag ich die Umarmungen und den direkten Kontakt ohne Abstandsregeln in der Familie oder mit engen Freunden, aber jedem die Hand geben muss für mich nicht sein. Da bleibe ich auch gerne beim „Queen-Winken“ wie Ines es so schön genannt hat.

Technologie
Die Nutzung der technischen Möglichkeiten sowohl für den beruflichen Bereich wie etwa durch den großflächigen Einsatz vom Home-Office als auch im privaten Bereich für den Kontakt zu lieben Menschen in den Lock-Down-Zeiten hat sich bewährt und vermehrte Einsatzbereiche aufgezeigt. Durch diese rasche Entwicklung der Videokonferenzen oder der Online-Schulungen in der Pandemiezeit ist teilweise ein Umdenken erfolgt und dies kann in verschiedenen Situationen sicherlich weiterhin entsprechend eingesetzt werden. Natürlich ist der persönliche Kontakt nicht zu unterschätzen, aber etliche Geschäftstreffen oder eben Schulungen lassen sich auch in Zukunft in dieser Form durchführen.

Moment
Dieses Virus hat uns alle so richtig unerwartet getroffen, auch wenn wir nicht wirklich erkrankt sind, auch wenn keine massiven Zerstörungen wie im Krieg stattgefunden haben, auch wenn keine tragischen Situationen eingetreten sind, dann wurde uns damit doch verdeutlicht, dass wir nicht davon ausgehen können, dass unser Leben immer gleich weiter verläuft und nicht vielleicht schon das nächste Ereignis hinter der Ecke lauert. Wie oft haben wir doch gesagt „Das wollen wir unbedingt machen“ und plötzlich ist alles anders und wir können es nun nicht mehr machen, vielleicht auch überhaupt nicht mehr. Daher sollten wir aus dieser Zeit beibehalten, den Moment zu schätzen, alles Schönes mitzunehmen und die für uns wichtigen Dinge nicht immer wieder zu verschieben.

 

Ich würde jetzt nicht sagen, dass nach der Krise alles besser wird – wobei hier wohl immer noch nicht definierbar ist, wann diese Krise zu Ende ist und ob sie wirklich endgültig zu Ende sein wird oder wir eben mit diesem Virus leben lernen müssen. Es besteht aber jetzt die Möglichkeit oder vielleicht der direkte Anlass, Manches zu überdenken, zu verändern und neue Gewohnheiten zu entwickeln und somit für uns eine neue, eine abgewandelte Normalität zu schaffen mit dem Guten aus der Vorpandemiezeit, erweitert durch Anderes und Neues.

Nun bin ich gespannt auf deine Meinung: Wie siehst du diesen Rückkehr zur Normalität, von der jetzt immer gesprochen wird? Gibt es bei dir vielleicht auch Punkte, die für dich nicht mehr zurückkommen sollen oder müssen? Auf was könntest du hingegen schwer verzichten oder was möchtest du unbedingt wiederhaben?
Ich freue mich auf deinen Kommentar.