Gedankenplauderei

Er ist schuld, sie sind schuld oder doch die anderen?

Abendstimmung-Wonderfulfifty

Vor einigen Monaten, noch bevor die Einschränkungen aufgrund des Corona-Virus dies für einige Zeit unmöglich gemacht haben, gab es ein Treffen bei meiner Schwägerin und in der gemütlichen Runde ist unter anderem auch über einen Unfall diskutiert worden. Es wurde dabei durchleuchtet, wie dieses Unglück passieren konnte, wie jeder Beteiligte gehandelt hat, was einer falsch gemacht hat, was ein anderer besser gemacht hätte, wie jemand richtig oder doch falsch reagiert hat, wer die schlimme Situation ausgelöst hat, wer die Verantwortung für den Verlauf hat. Jedenfalls geht das eine ganze Zeitlang zwischen den Anwesenden hin und her und es ist hier auch nicht die eigentliche Handlung wichtig, sondern es ist mir besonders in Erinnerung geblieben, was meine Schiegermutter plötzlich dazu gesagt hat: „Hauptsache, wir haben einen Schuldigen!“. Ist das wirklich so? Wird bei jedem Problem oder Unglück sofort jemand gesucht, der Schuld hat? Ist die erste Frage in solchen Fällen immer gleich mal nach dem Schuldigen, dem das Negative zugeordnet werden kann?

 

Wer trägt die Schuld?

Denken wir doch mal an die Menschen, die sich über ihren Job, ihren Chef oder eben die Firma, in der sie beschäftigt sind, beschweren – „Die Arbeit ist so eintönig – jeden Tag das Gleiche“, „Der Chef ist so ungerecht – immer werden die Gleichen bevorzugt“, „Die Bezahlung ist so gering – für meine Leistung müsste ich viel mehr verdienen“ und Ähnliches ist da zu vernehmen. Bereits am Wochenende jammern sie über die kommende Arbeitswoche und bemitleiden sich selbst. Trotzdem marschieren sie jeden Montag dann mit fadem Gesicht und mieser Stimmung in den Betrieb. Der böse, böse Chef ist schuld, dass ihnen die Arbeit keinen Spaß macht, dass sie heute keine Lust haben, zu arbeiten. Sie schieben die Verantwortung von sich weg und suchen sich ein Feindbild, dem sie dies alles anheften können und dem sie quasi ausgeliefert sind.

Es ist doch so viel einfacher, die Schuld bei anderen zu suchen als selbst aktiv zu werden und vielleicht zu hinterfragen: Liegt es eventuell an der eigenen Einstellung zur Arbeit, dass sie uns so langweilig erscheint? Sind die Kollegen vielleicht interessierter unterwegs, dass ihnen andere Tätigkeiten übertragen werden? Sind die anderen eventuell für diese Arbeit besser geeignet? Oder sich vielleicht etwas Anderes zu überlegen: Ist ein anderer Arbeitgeber besser für mich geeignet? Passt ein anderes Berufsumfeld vielleicht besser zu mir? Oder gründe ich überhaupt eine eigene Firma?

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So wird eben gerne die Schuld an allem Möglichen den Firmenchefs und den Politkern und den Mächtigen zugewiesen und ja, bei manchen sind es dann auch die Eltern, die an ihrem unzufriedenen Leben schuld sein sollen, weil sie sich in der Kindheit nicht ausreichend um sie gekümmert haben, weil sie nicht ständig um sie besorgt waren oder die anderen wieder andersrum, weil sie richtige Helikoptereltern hatten, die ihnen keine Freiheit und keine Selbstständigkeit ermöglicht haben. Trotzdem sind sie doch jetzt alle erwachsen und können nicht für immer einer schlimmen Kindheit die Schuld an ihrem aktuellen Leben geben. Sie sind jetzt selbst gefordert, eine unbefriedigende Situation zu ändern. Denn es ist doch sehr wohl die eigene Schuld, wenn ich in einer unangenehmen Situation verbleibe, wenn ich mir nicht Alternativen überlege, wenn ich nicht selbst versuche, eine Lösung zu finden.

 

Wer trifft die Entscheidung?

„Welchen Film willst du heute ansehen?“ – „Ach, das ist mir eigentlich egal.“ oder „Was wollen wir essen?“ – „Ich mag eigentlich alles.“ Das mag ja in vielen Fällen sicherlich stimmen oder ist auch eine Höflichkeit gegenüber dem Anderen, dass ihm die Auswahl überlassen wird. Es soll aber nicht aus falschen Verantwortungsverständnis erfolgen, so nach dem Motto – ich entscheide nicht, also kann ich auch keinen Fehler machen, also kann ich nicht schuld sein, wenn der Film ein Reinfall ist oder wenn das Essen überhaupt nicht schmeckt.

So und jetzt gehen wir mal einen Schritt weiter: wenn wir jemand Anderem die Schuld an einer Situation, an einer Begebenheit, vielleicht an einem Missgeschick geben, wenn wir diesen Fall von uns wegschieben, dann sind wir doch automatisch irgendwie in der Opferrolle. Wir sagen: „Ich kann nichts dafür, der hat Schuld.“ und bringen damit zum Ausdruck, dass wir darauf keinen Einfluss hatten. Dann passiert es vielleicht, dass wir nie diesen Film sehen, der uns interessieren würde, nicht das Essen bekommen, auf das wir gerade Lust haben – etwa auch noch mit dem Effekt, dass wir uns schließlich über die Auswahl des anderen ärgern und es ihm innerlich zum Vorwurf machen, dass er unsere geheimen Wünsche nicht erraten hat. Aber das würde jetzt schon zur einem weiteren Thema führen. Es ist also immer praktisch, gleich mal einen Schuldigen zur Hand zu haben und man muss daher gar nicht selbst überleben, was man zu dieser unangenehmen Situation beigetragen hat oder ob man sie vielleicht überhaupt ausgelöst hat.

 

Miteinander oder Schuldzuweisung?

Daher denke ich, jetzt mal unabhängig von den tatsächlichen Begebenheiten, es ist doch wohl meistens sinnvoll, etwas Eigenverantwortung zu zeigen, nicht immer zu versuchen, einem anderen die Schuld zuzuweisen. Ich denke, es ist sicherlich schon den meisten von uns passiert, dass wir fast ein Missgeschick hatten, das aber durch Eingreifen oder Achtsamkeit eines anderen verhindert wurde.

Vor allem im Straßenverkehr fällt es mir besonders auf, in dieser Anonymität wird bei einemAbendstimmung-Wonderfulfifty

Missgeschick oft wirklich mit einer unangebrachten Aggressivität reagiert. Ja, vielleicht ist der andere Schuld, dass wir abrupt abbremsen mussten, aber warum sollten wir ihn deswegen mit Ausrufen oder eindeutigen Gesten bedenken. Wissen wir, warum er gerade nicht so aufmerksam war? Vielleicht hat er gerade eine traurige Nachricht erhalten? Vielleicht ist er auf dem Weg zu einem unangenehmen Termin? Vielleicht hat er Schmerzen und ist dadurch abgelenkt?

Ich denke, hier ist es einfach besonders angebracht, Verantwortung für sein eigenes Handeln, aber auch Mitverantwortung zu übernehmen und quasi auch für den anderen mal in einer brenzligen Situation mitzudenken und entsprechend zu reagieren, falls er sich nicht ganz korrekt verhält. Natürlich soll das nicht als irgendein indirekter Aufruf zur Nachlässigkeit angesehen sein, wie etwa die Straße mit Blick auf das Handy zu überqueren und so nicht wirklich viel vom Geschehen um uns wahrzunehmen oder etwa mit schallender Musik aus den Kopfhörern unterwegs zu sein. Wer kann denn dann irgendein Signal, sei es eine Hupe, eine Fahrradglocke oder auch einen Zuruf hören? Rücksicht und Verantwortung sind hier wohl angebracht und nicht nur die Schuldfrage, falls dann doch mal etwas passiert. So hilft uns hier sicher ein Miteinander, um manchen Schaden und damit wahrscheinlich auch so manche Diskussion über eine Schuldfrage zu vermeiden wie etwa „Er ist schuld, weil er so langsam gefahren ist und ich daher überholen musste.“

 

Wo sind die Strafen?

Aber da gibt es auch immer wieder die Rufe nach Strafen und Regelungen für bestimmte Firmen, für bestimmte Produkte und um das gleich mal an einem Beispiel zu verdeutlichen: „XX ist so ungesund – dafür muss die Firma YY bestraft werden“ – doch jetzt mal andersrum gefragt: wer zwingt uns, ein ungesundes Produkt zu essen oder zu trinken? Wer lädt es in den Einkaufswagen und nimmt es mit nach Hause? Wer bestellt es im Lokal? Doch nicht die Firma, nicht der Produzent dieses Produkts, das sind wir schon selber. Wir sind doch selbst für unsere Gesundheit und unseren Körper verantwortlich.

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Wenn wir wissen oder meinen, dass uns ein Produkt nicht guttun oder schädlich für uns ist, dann ist es doch ein Einfaches, dies nicht zu konsumieren, egal ob es sich in den Regalen oder auf der Getränkekarte befindet und zwar auch ohne irgendwelche Regeln oder Vorgaben. Die nächste Steigerungsstufe dieses Verhaltens ist meines Erachtens, wenn dann versucht wird, aus der eigenen Nachlässigkeit Geld zu machen und die Firma wegen eines bestimmten Produkts zu verklagen, weil sie zugenommen haben, weil sie ein Produkt nicht vertragen haben oder was auch immer und vielleicht nicht explizit davor gewarnt worden ist.

 

Wo ist der Schuldige?

Ja und dann gibt es da auch etwas, das wohl uns alle in letzter Zeit betroffen hat und wofür doch auch die meisten gerne einen Schuldigen hätten – egal wer: „Der Chinese war’s, der mit diesen komischen Essgewohnheiten oder mit seinen nachlässigen Laborversuchen“, „Bill Gates war’s, der Macht über die Menschen haben will“ oder vielleicht doch Aliens, die damit in das Geschehen auf der Erde eingreifen wollen. Es gibt genügend Überlegungen und Verschwörungstheorien und die unglaublichsten Annahmen werden online verbreitet und dabei auch teilweise noch von irgendwelchen Prominenten oder zumindest bekannten Personen unterstützt. Es scheint hier wohl die Hauptsache zu sein, wir finden jemanden, auf den wir mit dem Finger zeigen und dem wir zurufen können: „DU bist schuld“.

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Es kann aber bestimmt nicht immer für alles und jedes einen Schuldigen geben – hin und wieder passieren eben Dinge oder gibt es Situationen, wo niemandem Schuld zugewiesen werden kann. Wir haben etwa einen kleinen Ausflug geplant und dann regnet es an diesem Tag wie aus Kübeln – ja, vielleicht könnten wir jetzt noch sagen: wer den Termin für den Ausflug festgesetzt hat, der ist schuld; die unkorrekte Wettervorhersage ist schuld oder was auch immer uns vielleicht noch einfällt, damit wir jemandem für den verpatzten Ausflug verantwortlich machen können. Davon wird das Wetter auch nicht besser und wir verlassen nach eventuellen Unmutsäußerungen wohl besser unsere „Opferrolle“ und können uns jetzt gleich mal nach Alternativen umsehen – was bietet sich anstatt des Ausflugs an? Wollen wir ins Kino gehen? Wollen wir zu Hause einen Spieletag veranstalten? Wenn wir aktiv werden, dann kann es trotz dieses Wetters noch ein schöner Tag werden und wir genießen vielleicht anstatt des Ausflugs einen kleinen Spaziergang am Abend und können dabei einen Regenbogen beobachten.

Natürlich lässt sich nicht immer alles positiv lösen und natürlich dürfen wir auch mal frustriert sein und es lässt sich nicht jede Situation in Wohlgefallen verändern, ja, nicht immer steht dann so ein schillerndes Einhorn bereit, das mit uns ins Wolkenschloss reitet, manchmal sind auch einfach nur Missmut und Ärger angebracht. Aber vielleicht nehmen wir trotzdem gleich für die nächste Planung etwas daraus mit – in diesem Fall vielleicht eine flexible Termingestaltung oder gleich ein Ersatzprogramm. Es gibt die unterschiedlichen Lösungen und wir haben es in der Hand, wie wir damit umgehen.

 

Solange du glaubst, dass an allem immer nur die anderen Schuld sind, wirst du viel leiden.
(Dalai Lama)

 

Wer hat nun die Verantwortung?

Die persönliche Verantwortung rückt immer mehr und mehr in den Hintergrund – gerne wird diese in der Gruppenanonymität abgegeben. Warum ist das so – warum scheuen immer mehr Menschen die Verantwortung? Ja, wenn ich keine Verantwortung habe, dann kann ich auch keine Schuld haben, so ist wohl der Grundgedanke, denn keiner will an irgendetwas schuld sein, keiner will einen Fehler machen. Denn wenn ich für etwas Verantwortung übernehme, dann kann ich dafür verantwortlich gemacht werden und das bedeutet auch, dass ich mich dann vielleicht auch mal schuldig fühle.

Vielleicht geht es auch etwas in diese Richtung – denn egal was passiert, es wird immer gleich mal nach dem Schuldigen gerufen und da gibt es wirklich schon die absurdesten Fälle oder wie meine Schwiegermutter immer ironisch sagt: „Hauptsache, wir haben mal einen Schuldigen!“

 

Es ist klar, wir sind nicht an allem, was in unserem Leben passiert, selbst schuld – es gibt eben Dinge, die einfach ohne explizit feststellbaren Verantwortlichen passieren, es gibt einfach unglückliche Zufälle. Aber es liegt dennoch immer noch ausschließlich an uns, wie wir auf diese Situationen reagieren, wie wir mit den Begebenheiten umgehen, ob wir uns jetzt in die Ecke setzen und schmollen und bedauert werden wollen oder uns zumindest selbst mal so richtig bedauern und uns als Pechvogel feiern und vom Unglück verfolgt fühlen oder ob wir aktiv werden, ob wir uns die Frage stellen „Was können wir jetzt machen?“, „Wie gehen wir am besten mit dieser Herausforderung um?“ und die Gedanken gleich mal in eine andere Richtung lenken.

Die Situation ist einfach mal gegeben, daran ist nichts zu rütteln – daher machen wir einen Schritt nach vorn und überlegen wir, was wir ändern oder anpassen können oder müssen, wie wir unser Leben gestalten wollen. Nehmen wir doch unser eigenes Leben in die Hand, übernehmen wir die Verantwortung für unser Glück, für unser Wohlbefinden, für unsere ganzen Belange.

 

Damit übergebe ich jetzt gerne das Wort an dich und bin schon gespannt auf deine Meinung: Wie siehst du den Unterschied zwischen Schuld und Eigenverantwortung? Welche Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang mit deinen Mitmenschen gemacht? Ist es tatsächlich so, dass immer gleich mal nach einem Schuldigen gesucht wird?
Ich freue mich auf deinen Kommentar.