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Carpe diem – Mein Selbstversuch

Carpe Diem - Sonnenuntergang

Heute kommt meine Kollegin nach einem zweiwöchigen Urlaub ins Büro, setzt sich mit einem Seufzer an ihren Schreibtisch und verkündet: „Jetzt muss ich ein halbes Jahr warten, bis ich endlich wieder Urlaub habe.“ Ein Kollege meint: „Noch fünf Tage arbeiten und dann ist endlich Wochenende“, ein anderer „Noch sieben Stunden und dann ist endlich Feierabend“, der nächste „Noch zwei Stunden und dann ist endlich Mittagspause“.

Okay, das ist jetzt teilweise schon scherzhaft gemeint, aber es liegt doch viel Wahres darin, wenn wir den Aussagen unserer Mitmenschen zuhören, viele scheinen immer auf etwas zu warten, auf besseres Wetter, auf einen günstigen Zeitpunkt, auf einen besseren Job, auf die Gehaltserhöhung, auf den Partner fürs Leben, auf den Ruhestand, wenn das Haus fertig ist, wenn die Wohnung abbezahlt ist, wenn wir die Kinder größer sind, wenn endlich der Tag vorbei ist, wenn endlich die Hitze vorbei ist, wenn endlich der Herbst kommt.

 

Warten auf…

Vor lauter Warten auf einen Moment, auf ein bestimmtes Ereignis, auf das Irgendwann verstreicht wunderbare Lebenszeit, Zeit die uns wie der Sand der Sanduhr zwischen den Finger verläuft, die wir nur einmal erleben dürfen, die unweigerlich verloren ist, wenn wir sie nicht für uns nutzen, wenn wir sie nur irgendwie totschlagen, wenn wir sie nicht zu unserer Zeit, zu unserem Leben machen und mit unseren Vorstellungen, Wünschen und Plänen füllen.

Hast du schon einmal daran gedacht, was du machen würdest, wenn dir so richtig bewusst ist, dass deine Lebenszeit nicht endlos ist? Wie würdest du handeln, wenn du dabei bedenkst, dass deine Lebensuhr irgendwann auf Null steht? Würdest du dann die gleichen Entscheidungen treffen? Das soll jetzt nicht zu trübsinnigen Überlegungen führen, wie endlich das Leben ist, sondern zu einer Anregung, unser Dasein für uns zu gestalten, besonders weil wir nicht wissen, wie lange es noch dauert, ein paar Stunden, ein paar Wochen, ein paar Jahrzehnte, ein halbes Jahrhundert.

 

Carpe Diem - Sonnenuntergang

 

Carpe diem

Bei derartigen Gedanken kommt immer wieder der Spruch „Carpe diem“ ins Spiel. Das lateinische „Carpe diem“ wird vielfach in der Bedeutung „Nutze den Tag“ übersetzt. Mit dem „Nutzen“ wird irgendwie impliziert, dass viel erledigt, möglichst viel geschaffen werden soll, dass wir uns vorrangig um unsere Aufgaben und Anforderungen kümmern und davon einen Großteil oder noch besser Alles abarbeiten müssen, dass unser Pflichtbewusstsein im Vordergrund steht. Der Tag wird bis zur letzten Minute durchgeplant und ausgenutzt – da gibt es die Zeit für den Beruf, für den Haushalt, für den Sport und das Hobby und alle möglichen anderen Aktivitäten. Nur keine Minute des Tages „ungenutzt“ lassen, sodass zum oftmaligen Stress in der Arbeit auch noch der Freizeitstress dazukommt.

Die Aussage „Carpe diem“ geht eigentlich auf den römischen Dichter Horaz zurück und bedeutet wörtlich übersetzt „Pflücke den Tag“ im Sinne von „Genieße den Tag“ – er ermuntert mit diesem Aufruf dazu, das Heute und Jetzt zu genießen und dies nicht auf den nächsten Tag zu verschieben. Wir haben alle die gleiche Zeit zur Verfügung und es liegt an uns, wie wir die Momente eines Tages mit Leben füllen, wie wir unsere kostbare Zeit verwenden, denn jeden Augenblick erleben wir nur einmal und danach ist er unwiederbringlich verloren. Hier gibt es kein Zurückgehen und keine zweite Chance. Es liegt also in unserer Hand, ob wir einen Moment achtsam für schöne Erinnerungen nutzen, mit sinnlosen, oftmals schadenden Aktivitäten vergeuden oder mit trüben Gedanken und Sorgen belasten.

 

Es ist dein letzter Tag

In diesem Zusammenhang hören wir oft die Lebensweisheit „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“ – ich vernachlässige hier gezielt Gedanken wie heute nicht mehr zur Arbeit gehen, eine große Feier veranstalten, keine Arbeiten im Haushalt erledigen oder was dem einen oder anderen sonst noch vorschweben würde, denn wir wissen alle, dass so etwas nicht wirklich umsetzbar ist.

Durch dieses Zitat soll uns eher bewusst gemacht werden, dass unser Leben jederzeit sein Ende finden kann und wir uns daher vor allem auf die wesentlichen Dinge in unserem Leben konzentrieren sollen, auf die Menschen, die uns guttun, auf die Aktivitäten, die wir gerne machen und die uns Freude bereiten, auf die Momente, die uns Glück bescheren.

 

Carpe Diem - Sonnenuntergang

 

Selbstversuch

So starte ich meinen Selbstversuch – ich will dabei herausfinden, was wichtig und sinnvoll für mich ist, welche Tätigkeiten und Menschen mir guttun und wie ich meine Lebensqualität mit Kleinigkeiten steigern kann. Dazu gehe ich mit Notizblock und Stift durch den Tag und überlege in jeder Situation, bei jeder Handlung, was ich hier machen oder auch nicht machen würde, wenn meine Lebensuhr kurz vor dem Stillstand steht. Was würde ich tun? Mit wem? Würde ich das gleiche machen wie bisher? Was ist mir wirklich wichtig?

 

Umwelt

Als ich das Haus verlasse, schüttet es in Strömen – natürlich kein Wetter, dass ein Sonnenkind wie mich freut. Aber auf den Regen habe ich keinen Einfluss, also werde ich mir davon auch nicht die Laune verderben lassen. Warum sollte ich dem Nass vom Himmel die Möglichkeit geben, meine heutige Stimmung ins Negative beeinflussen zu können? Ich schnappe den Schirm und mit einem bewussten Lächeln geht es hinaus ins Freie.

 

Mitmenschen

In der Arbeit bin ich heute besonders freundlich zu meiner nervenden Kollegin, auch wenn sie zum wiederholten Mal einen Fehler macht und scheinbar erklärungsresistent ist, doch es geht hier um mich, um mein Wohlbefinden. Warum soll ich meine wertvolle Zeit damit verbringen, mich über derartige Menschen zu ärgern? Warum soll ich mich über etwas aufregen, wenn ich andere Menschen doch nicht ändern kann?

 

Carpe Diem - Sonnenuntergang

 

Unsere Lieben

In der Mittagspause schreibe ich eine kurze Nachricht an eine Freundin – einfach so, ohne Grund oder bestimmten Anlass. Nein, ich bin einfach glücklich, dass es sie gibt und wir schöne Zeiten haben und da ist so ein kleines Kompliment schon mal angebracht. Auch wenn wir davon ausgehen, dass unsere Lieben wissen, was sie uns bedeuten, dann freuen sie sich doch sicherlich, wenn wir das auch immer wieder explizit zum Ausdruck bringen – eine kleine Mitteilung, wie sehr wir uns auf das Wiedersehen freuen, wie sehr wir sie vermissen, wie wichtig sie uns sind, ist eine ganz wunderbare zwischenmenschliche Geste. Es ist doch schön, dies zwischendurch immer wieder zu nutzen, denn keiner weiß, wann wir dazu das letzte Mal die Möglichkeit haben.

 

Vergangenes

Es gibt so viele Kleinigkeiten, die wir wahrscheinlich leicht ändern können und die dabei unsere Lebensqualität erhöhen – aber warum sollten wir uns mit den Fehlern oder Geschehnissen aus der Vergangenheit quälen? Warum sollen wir hin und her überlegen: wenn ich das anders gemacht hätte, wie würde das heute sein, wenn dieser Fall nicht eingetreten wäre, wie würde es mir heute gehen, wenn ich das nochmal machen könnte, warum ausgerechnet mir so etwas zustoßen musste.

Diese Sachen sind passiert und können nicht mehr geändert werden, auch wenn wir uns darüber grün und blau ärgern. Was geschehen ist, ist geschehen – wir können nur für uns in der Gegenwart das Beste daraus machen, werden uns aber bestimmt nicht den neuen Tag mit trübsinnigen Gedanken über die Vergangenheit verderben.

 

Zukünftiges

Kennt ihr das auch? Das Gedankenkarussell dreht in der Nacht seine Runden und bringt euch um den erholsamen Schlaf. Da kreisen die Überlegungen von einem negativen Ereignis zum nächsten: was ist, wenn ich einen Unfall habe, was ist, wenn ich überfallen werde, was ist, wenn ich einem Betrüger zum Opfer falle, was ist, wenn ein Erdbeben kommt. Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Auf all diese Ereignisse haben wir keinen unmittelbaren Einfluss – wir machen uns hier Sorgen über etwas, von dem wir außerdem nicht wissen, ob es in der Zukunft überhaupt jemals eintritt. Warum unsere kostbare Zeit für Überlegungen einsetzen, die uns nicht weiterbringen, die ohnehin zu keiner Lösung führen können, warum uns ein Worst-Cast-Szenario ausmalen? Stopp und weg mit diesen Grübeleien – unnötige Sorgen um die Zukunft machen wir uns nicht mehr, wir leben in der Gegenwart lassen uns doch nicht von Dingen negativ beeinflussen, die überhaupt noch nicht passiert sind.

 

Carpe Diem - Sonnenuntergang

 

Bedürfnisse

Last but not least geht auch um uns selbst, um unsere Bedürfnisse, unsere Gefühle, unsere Erwartungen. Hören wir dazu in uns hinein und kümmern wir uns bewusst um unsere Wünsche und Anliegen und richten wir uns dabei nicht nach den Vorstellungen der anderen – es ist unser Leben. Machen wir das für uns Bestmögliche daraus, lassen wir uns dabei nicht von den Verpflichtungen stressen, lassen wir uns nicht von Außenstehenden eine Sache vermiesen, die wir gerne machen und vor allem erlauben wir uns auch einmal nicht perfekt zu sein.

Müssen wir etwa unbedingt zu dieser Veranstaltung gehen, wenn sie uns doch überhaupt nicht interessiert? Machen wir doch stattdessen Me-Time, schnappen wir uns ein Buch und einen Schokokuchen und genießen wir einen gemütlichen Abend.

 

Die Zeit ist begrenzt – also nutzen wir sie für die Menschen und Dinge, die uns am meisten bedeuten, brechen wir aus dem Strudel des Alltags, aus der Gewöhnlichkeit und greifen wir nach unseren Träumen und Zielen. Lasst uns unsere kostbare Zeit auf diesem wunderschönen Planeten nutzen, um das Beste aus uns heraus zu holen und unser Leben möglichst in allen Facetten zu leben. Machen wir die Dinge, die unser Herz zum Singen bringen und unsere Seele glücklich machen.

In diesem Sinne versuchen wir die wunderbaren Worte von Mark Twain in die Tat umzusetzen:

Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.

Und jetzt bist du dran: Was kommt dir dazu in den Sinn? Was gehört für dich zu einem schönen Tag? Welche Ideen und Pläne hast du noch für dein Leben? Welche Punkte möchtest du gerne sofort in dein Leben integrieren und welche Gedanken realisieren? Was würdest du ändern, wenn du wüsstest, dass morgen oder nächste Woche dein letzter Tag ist? Würdest du überhaupt etwas ändern? Wie würde dies deine Entscheidungen beeinflussen?