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Im Dunkeln ist gut munkeln – ein Erlebnis der besonderen Art

Dinner im Dunkeln

Hin und wieder eine kleine Auszeit, sich bewusst Zeit gönnen, miteinander etwas erleben, sich auf die schönen Dinge konzentrieren, bereichert unser Leben so sehr – so etwas sollten wir regelmäßig einplanen und uns dazu die entsprechende Zeit reservieren. Dazu bedarf nicht großartiger Ausgaben, es genügt oftmals ein kleiner Spaziergang, ein gemütlicher Abend auf der Terrasse, ein spezielles Essen. Wichtig dabei ist, dass wir uns auf das Gemeinsame konzentrieren und die Zeit bewusst als Ausflug vom Alltag sehen. So haben Mister W. und ich heute auch so einen ganz besonderen Abend vor uns, ein 4-gängiges Überraschungsmenü in einer außergewöhnlichen Location. Ja, was erwartet uns dort? Wie wird alles ablaufen? Wie werden wir mit der Situation zurechtkommen?

 

Dinner im Dunkeln

 

Neugierig und schon sehr gespannt treffen wir in dem Lokal ein und werden sofort von einer sehr freundlichen Dame in Empfang genommen. Es gibt Einweisungen und Erklärungen zum weiteren Ablauf und dazu zur Einstimmung und Auflockerung einen Aperitif an der Bar – schließlich geht es auch schon los. Wir werden durch eine Tür geleitet und steigen im Dämmerlicht die Stufen hinab. Die Wände und die Stufen sind tiefschwarz gestrichen und vermitteln eine düstere und leichte bedrückende Atmosphäre.

Wir gehen immer wieder um eine Ecke ähnlich wie in einem Labyrinth und bei jedem Schritt wird es dunkler und dunkler – wir können nur mehr grobe Schatten wahrnehmen und die Umgebung mehr erahnen als sehen. Irgendwie erfüllt ein etwas mulmiges Gefühl den Magen – die Augen strengen sich an und wollen mehr wahrnehmen, aber es geht nicht und dann ist im wahrsten Sinne des Wortes stockfinster. Nicht der geringste Lichtschein, der irgendetwas erahnen lässt, kein noch so kleiner Dämmerschein, wir können uns nicht mehr orientieren und haben auch keine Ahnung, wie es um uns aussieht.

 

Habt ihr so etwas schon einmal erlebt, so eine totale Finsternis? Wenn wir im Finstern durch unsere Wohnung gehen, dann haben wir im Kopf eine ungefähre Vorstellung, wo sich welche Möbelstücke befinden, wie weit der Weg zur Tür ist, in welcher Richtung sich die Tür befindet. Wir können uns daher zu Hause auch grob im Finstern orientieren. Hier aber in dieser fremden Lokalität, die wir nicht kennen, in der wir noch nie waren und die wir noch nie beleuchtet gesehen haben, haben wir nicht die geringste Ahnung, wie groß überhaupt der Raum ist, in dem wir uns befinden, ob irgendwelche Gegenstände um uns sind.

 

Dinner im Dunkeln

 

Unser freundlicher Begleiter Sven nimmt uns im wahrsten Sinne des Wortes an der Hand und führt uns zielsicher durch den abenteuerlichen Weg. Wir fühlen den weichen Boden unter den Füßen, wir tasten uns vorsichtig an Kanten und Stufen heran. Die größte Herausforderung stellt für uns das Besteigen eines Bootes dar. Der Kahn schaukelt hin und her und wir hören darunter das Wasser plätschern.

Es wird uns bewusst, wie sehr wir uns im Alltag in den meisten Fällen auf unsere visuelle Wahrnehmung verlassen. Jetzt orientieren wir uns an den Geräuschen, an den Anleitungen unseres Begleiters und natürlich am Tasten mit den Händen und Füßen. Nach der „Bootsfahrt“ geht es an den Tisch und wir haben uns das Menü redlich verdient. Bei unserer Wanderung in der absoluten Dunkelheit haben wir auch das Zeitgefühl total verloren – wir können nicht einordnen, wie lange wir uns jetzt den Parcours entlang getastet haben, wir waren so auf das Tasten, das Fühlen, das Hören konzentriert.

 

Am Tisch beschreibt uns Sven, wo sich das Geschirr und die Gläser befinden und weist uns nochmals explizit darauf hin, nicht allein aufzustehen und unseren Sitzplatz ja nicht zu verlassen. Damit geht es auch schon los: die Vorspeise, die Suppe, die Hauptspeise und das Dessert, dazu die Getränke in einem Weinglas und einem Wasserglas. Ein Menü, bei dem das Auge einmal ausgeschlossen ist und nicht mitessen darf.

 

Dinner im Dunkeln

 

Da wir nicht wissen, was bei den einzelnen Gängen serviert wird und auch Sven dazu keine Auskunft erteilt, beginnt das große spannende Raten und unsere Geschmack- und Geruchsnerven werden in besonderer Form gefordert. Ein kleiner Bissen in den Mund – wir haben ja keine Ahnung, welches Gericht es ist und wie es schmeckt. Danach wir getastet und geschmeckt – es wird hin und her überlegt, was da gerade verspeisen.

Es schmeckt nach Zwetschke! Nein, doch eher nach Apfel. Auf jeden Fall nach einer Frucht. Vielleicht doch Weintrauben. Oder ist es eine Mischung aus verschiedenen Obstsorten?

 

Zwischen den einzelnen Gängen erzählt uns Sven viele interessante Details aus seinem Leben als Blinder – eine neue, für uns total unbekannte Welt öffnet sich hier für uns. Sven ist seit einem Unfall mit ca. 20 Jahren blind, er hat die Kindheit und Jugend also als Sehender verbracht. Dadurch hat er den Vorteil, dass er Farben mit einem Bild verbinden kann – denn wie erklärt man „blau“ oder „grün“ oder „rot“, wenn jemand nur Dunkelheit kennt? Bei der Kleidung werden nur Teile gekauft, die alle untereinander kombinierbar sind. So kann zu jeder seiner Hose jedes seiner Hemden oder T-Shirts getragen werden. Viele Supermärkte stellen blinden und sehbehinderten Menschen kostenlos eine Begleitperson für die Einkäufe zur Verfügung.

Durch die intensive Beschäftigung mit den Speisen, dem speziellen Verkosten von jedem Gericht haben wir langsam das etwas mulmige und leicht beängstigende Gefühl in der totalen Dunkelheit verloren. Unsere Augen versuchen zwar noch immer vergebens irgendwo einen kleinen Lichtschein zu erhaschen, denn obwohl es ja stockfinster ist, haben wir die Augen weit geöffnet. Es hat sich trotz allem nämlich ungewohnt und eigenartig angefühlt, mit geschlossenen Augen zu essen, auch wenn wir sowieso nichts wahrnehmen können. Mittlerweile schaffen wir es sogar in der Finsternis mit unseren Weingläsern auf den Abend anszustoßen.

 

Dinner im Dunkeln

 

Schließlich geleitet uns Sven wieder an die Oberfläche zurück – dabei geht es anlog zum Abstieg immer wieder um eine Ecke und ganz, ganz langsam können wir in der Ferne einen Lichtschein erspähen. Unsere Augen zwinkern – es gibt wieder was zu tun für sie. So arbeiten wir uns im immer heller werdenden Dämmerlicht wieder in den erleuchteten Barbereich. Hier sind Teller mit den Speisen aufgebaut, die wir genossen haben. Jetzt löst sich das Rätsel um die Gerichte und es war: ein Apfelstrudel mit Weintrauben.

Fasziniert von dem Erlebten gehen wir nach Hause – diese Erfahrung war für uns ungewöhnlich und beeindruckend, sie hat uns aber auch sehr nachdenklich gestimmt. Noch lange hängen wir in unseren Gedanken und Gesprächen diesem Erlebnis nach.

 

Mein Fazit zu diesem Erlebnis unter den Straßen von Wien:

Dankbarkeit

Vieles im Leben ist für uns selbstverständlich – wir schlagen am Morgen die Augen auf und sehen unsere Umwelt, wir hören die Geräusche, wir fühlen die warme Decke, wir nehmen die Düfte um uns wahr, wir stehen auf und bewegen unsere Arme und Beine, wir gehen zum Kühlschrank und entnehmen Essen und Trinken. Wir denken nicht daran, dass oft nur eine Kleinigkeit, eine Unachtsamkeit reicht und wir haben nicht mehr alle Sinne zur Verfügung. Sind wir doch dankbar, wenn wir die Welt mit allen Sinnen erleben dürfen, freuen wir uns, dass es uns so gut geht und genießen wir die verschiedenen Eindrücke.

 

Aufmerksamkeit

In unserer Welt gibt es eine Vielzahl an Sinneseindrücken, an Geheimnissen, an Empfindungen und Wahrnehmungen, die wir entdecken und erleben können. Wir sind jedoch gewohnt, den Großteil unserer Umwelt nur visuell zu erfassen. Dabei gibt es doch so viel mehr, was uns geboten wird. Wenn wir die Augen geschlossen haben oder uns in einem finsteren Raum befinden, dann werden auch die anderen Sinnesorgane stärker motiviert, wir hören genauer hin, wir tasten vorsichtiger und nehmen Empfindungen intensiver wahr, unser Geruchssinn wird stärker aktiviert.
Wenn wir aufmerksam in unsere Umwelt treten, können wir unsere visuelle Wahrnehmung mit den anderen Eindrücken wunderbar ergänzen – wir haben dies in Bezug auf das Essen erleben dürfen. Die herrlichen Sommermonate bieten sich aber auch wunderbar an, unsere Sinne zu schärfen und aufmerksamer zu werden: wir sehen den strahlenden Sonnenschein und freuen uns. Dabei gibt es doch auch den kleinen Luftzug, der über unsere Arme streicht, den feinen Duft der Wiese, das zarte Summen der Insekten.

 

Einfühlungsvermögen

Wir haben einen kleinen Einblick in das Leben von sehbehinderten und blinden Menschen erhalten – diese sehen und erleben ihr Umfeld durch den fehlenden Sehsinn in einer anderen Form. Ihre Wahrnehmung ist einfach anders, doch dahinter steht genauso ein Mensch mit Stärken und Schwächen, mit guten und schlechten Eigenschaften, der respektvoll behandelt, aber nicht bemitleidet werden will. Durch einen offenen und verständnisvollen Umgang miteinander können wir alle zu einer positiveren Welt beitragen.

 

Habt ihr schon einmal ein Dinner im Dunkeln erlebt? Welche Erfahrungen habt ihr davon mitgenommen?