Gedankenplauderei

Oops, bin ich jetzt ein Egoist?

Buch-Wonderfulfifty

Wie schön ist es doch, immer mal wieder Zeit mit lieben Menschen zu verbringen, gemeinsame Momente genießen und sich schöne Stunden zu machen – eben Quality-Time pur. Dazu eignet sich so ein kleiner feiner Mädelsabend doch einfach bestens und dafür ist auch gar nicht viel notwendig: wir brauchen ein bisschen Sprudel, ein bisschen was zum Naschen und ein bisschen was zum Gucken für einen Serienmarathon. Ja, und schon kuscheln wir uns auf das Sofa und es kann losgehen – da es schließlich ein Mädelsabend ist, greifen wir natürlich zu einem Klassiker über Freundinnen schlechthin und landen auch schon in New York bei Carrie. Wir tauchen ein in ihr Leben in der Großstadt, in die Erlebnisse mit ihren Freundinnen, in ihre Suche nach der Liebe und natürlich auch in das Auf und Ab mit Mr. Big.
„Don’t forget to fall in love with yourself first.“ so bringt es Carrie Bradshow auf den Punkt und sagt damit gleich mal etwas Wichtiges aus. Wir sollten quasi mit uns selbst klarkommen, was nicht heißt, dass wir alles an uns lieben müssen, aber doch dass wir uns grundsätzlich mögen sollten.

 

Selbstliebe und Egoismus

Ja und wenn wir schon bei der Selbstliebe sind, dann ist es nur mehr ein kleiner Schritt zu Selfcare – ein Wort, das ja vermehrt durch die Medien geistert und uns immer wieder entgegenschlägt. Direkt übersetzt ist darunter so etwas wie Selbstfürsorge oder Selbstpflege zu verstehen oder wenn wir mal kurz Wikipedia befragen, treffen wir auf folgende Beschreibung:
Unter Selbstfürsorge versteht man alle gezielten und bewussten Handlungen, die ausgeübt werden, um Gesundheit sowie Wohlbefinden zu erlangen, zu erhalten oder wiederherzustellen. 

SATC-Wonderfulfifty

Also zuerst zur Selbstliebe: wir müssen uns selbst mögen, mit uns so im Großen und Ganzen zufrieden sein und dann kommen wir zu Selfcare: wir kümmern uns darum, dass es uns auch gut geht und wir uns wohl fühlen und zwar auf allen Ebenen, körperlich, seelisch und geistig. Klingt ja alles mal ganz schön und einfach, aber da kommt uns dann immer mal wieder das Gedankengut in die Quere.

Wer kann sich nicht an die Aufforderungen der Eltern wie „Nimm Rücksicht auf den kleinen Bruder!“, „Gib doch dem kleinen Mädchen die Schaufel!“ oder „Du kannst doch der Tante diesen Wunsch nicht abschlagen!“ erinnern? Die meisten wurden doch immer wieder gemahnt, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, nicht auf den eigenen Wünschen zu beharren, sondern immer das Wohl der anderen im Auge zu behalten und dafür auch auf etwas zu verzichten, was wir gerne machen oder gerne haben – zuerst mit dem Bruder Vokabel lernen und wenn dann eventuell noch Zeit ist, die Freundin treffen oder höflichkeitshalber die Tante besuchen statt ein Eis essen zu gehen.

Ja und in diesem Zusammenhang taucht dabei auch gleich mal das Bild vom guten Menschen im herkömmlichen Sinne auf – ein guter Mensch wird als jemand beschrieben, der sich immer um andere kümmert und für andere da ist, der seine Bedürfnisse hintenanstellt und immer selbstlos auf das Heil und Wohlbefinden der anderen konzentriert ist – seine eigenen Wünsche und Vorlieben werden nicht beachtet, sondern zugunsten der Mitmenschen vernachlässigt. Hingegen wird jemand, der auch auf sich selbst schaut, der sich seine eigenen Wünsche erfüllt und auf sein Wohlbefinden bedacht ist, gerne allgemein mal als Egoist betitelt.

 

Du kannst nichts geben, wenn du selbst nichts hast

Jetzt sind wir in der Zwickmühle gelandet – guter Mensch oder Selfcare? Aber meines Erachtens greift da doch Eins ins Andere und wir dürfen oder besser sollen auch mal auf unser Wohl schauen und vielleicht von außen betrachtet egoistisch sein, wir dürfen auch einmal „Nein“ sagen und uns um unser eigenes Befinden kümmern. Denn seinen wir doch ehrlich, wenn wir uns wohl und ausgeglichen fühlen, wenn es uns so richtig gutgeht, dann sind wir in unseren Handlungen gelassener und besser gelaunt – wir begegnen unseren Mitmenschen freundlicher und entgegenkommender und damit schließt sich für mich der Kreis wieder: wenn wir auf uns schauen, kommt somit das im Endeffekt doch auch den anderen zugute.

Dazu brauchen wir doch nur die Sicherheitsanweisungen in den Flugzeugen beachten – hier heißt es doch so schön: zuerst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen und dann den Kindern oder anderen Passagieren helfen. Ja, wir brauchen die Luft aus der Sauerstoffmaske, um aktiv werden zu können und darum müssen wir uns in diesem Fall auch gleich erst mal um uns selbst kümmern. Das hat dabei natürlich keineswegs etwas mit Egoismus zu tun, denn erst wenn wir selbst versorgt sind, wenn wir die schützende Maske tragen, sind wir imstande, andere zu unterstützen, wenn wir jedoch andersrum uns zuerst um die anderen kümmern und denen die Maske aufsetzen wollen, dann kann dies dazu führen, dass wir nicht genügend Luft zum Atmen bekommen und damit auch in der Folge niemanden unterstützen können und die anderen dadurch auch nicht versorgt sind.

In bestimmten Momenten oder Situationen ist es absolut wichtig, zuerst an sich selbst zu denken, um dann eventuell eine Hilfe oder Unterstützung für andere Menschen zu sein. Das hat dann meines Erachtens auch nichts mit purem Egoismus zu tun oder ist zumindest als „gesunder“ Egoismus zu sehen. Dies ist jedoch natürlich nicht als Aufforderung zu sehen, immer über die Interessen der Mitmenschen hinweg seine eigenen Wünsche durchzusetzen und ohne Rücksicht und auf Kosten anderer seine Ziele zu verfolgen. So kann es etwa nicht sein, dass jemand auf seinem Feierabend beharrt und seinen Kollegen die Restarbeit überlässt.

 

Was wird angeboten?

Gerade in der Zeit des Lock-Downs ist das Thema Selfcare immer wieder in den Vordergrund gerückt und es hat jede Menge Anregungen und Ideen dazu gegeben. Aber diese vielen Möglichkeiten

SATC-Wonderfulfifty

haben andererseits nicht immer dazu geführt, dass wir uns wirklich um uns selbst gekümmert haben, denn da wurde uns durch die vermehrten Tätigkeiten in den sozialen Medien frei Haus geliefert, was wir unter Selfcare zu verstehen haben, was wir alles machen oder auch nicht machen sollen, damit wir uns richtig und entsprechend um uns selbst kümmern. Alleine die vielen Bilder, wo die Menschen anscheinend nur das beste, das gesündeste, das frischeste und nahrhafteste Essen mehrmals am Tag zubereitet und mit Genuss verspeist haben – damit wurde uns suggeriert, nur wenn wir uns so ernähren, dann kümmern wir uns richtig um unseren Körper und unsere Gesundheit, also nur dann machen wir richtiges Selfcare.

Aber das ist genauso bei den sportlichen Aktivitäten, da wird uns penibel angezeigt, wie jemand trainiert, wie lange er trainiert und vor allem wie viel Spaß er daran hat und dass er das unbedingt täglich machen muss, um sich wohl und ausgeglichen zu fühlen. Ja, und irgendwann stehen wir da und raufen uns die Haare und fragen uns: ist das wirklich alles notwendig? Ist das noch Selfcare? Im Prinzip wird uns ja da vorgeschrieben, was wir unter Selfcare zu verstehen haben und wie wir dabei explizit vorzugehen haben. Doch jeder Mensch ist anders, jeder braucht etwas Anderes, jeder mag etwas Anderes und wenn mir dann vorgelebt wird – jeden Tag muss eine Stunde Yoga praktiziert werden, um dem Körper etwas Gutes zu und die Muskeln und die Dehnung zu trainieren, es muss meditiert werden, um den Ausgleich und Entspannung zu finden, es muss frisch gekocht werden, um die richtigen Nährstoffe zu finden. Dann darf für unser geistige Wohl natürlich nur bestimmte Lektüre bevorzugt werden.

Hätte sich jemand gedacht, dass Selfcare so aufwändig und vielleicht auch noch so stressig werden kann? Upps, eigentlich sollte Selfcare doch gegen den Stress und für unser eigenes Seelenheil sein und nicht neuerlichen Druck verursachen – das läuft doch gerade irgendwie in die falsche Richtung.

 

Was brauche ich?

Ich denke, ich muss jetzt keine Auflistung anführen, welche Punkte wir im Rahmen von Selfcare in unser Leben einbinden sollen – dazu gibt es sowohl online als auch in Buchform jede Menge schlauer Ratgeber, die eine Vielzahl an Vorschlägen anzubieten haben. Aber auch die Produktpalette zu diesem Thema ist umfassend, sie reicht von Kerzen und duftenden Schaumbädern, von diversen Streamingdiensten und Online-Programmen bis zu richtigen Weiterbildungsseminaren. Ja, es gibt Apps für das Handy, die uns erinnern und zeigen sollen, was wir wann für uns im Rahmen der Selbstfürsorge machen sollen. Natürlich sind auch die Hotels und Freizeitangebote auf diesen Zug aufgesprungen und wollen uns zu ihren Erholungs- und Entspannungstagen mit Sätzen „Das hast du dir verdient“ oder „Gönn dir doch was Schönes“ locken – dabei rückt natürlich vor allem der Konsum in den Vordergrund – wir sollen unter dem Deckmantel der Selbstfürsorge etwas für uns kaufen, uns also etwas leisten.

Für mich kommt dabei aber immer noch die persönliche Komponente als ganz wesentlicher und entscheidender Teil dazu – ich weiß doch selbst am besten, was für mich gut ist, was meinem Körper guttun und wobei ich mich wohlfühle und das kann, muss aber nicht immer unbedingt etwas mit Konsum oder mit Geld zu tun haben. Denn während es für den einen unbedingt ein Retreat-Aufenthalt in einem Luxus-Resort sein muss, fläzt sich der andere lieber ein paar Stunden mit einem Magazin auf die Couch und wieder ein anderer liebt es, die Schmetterlinge im Garten zu beobachten.

 

Daher sei gut zu dir – sei lieb zu dir und zwar in dem Sinne, wie du dich damit wohlfühlst, wie es dir zuträglich ist, denn das wissen dein Körper und deine Seele besser als all diese Tutorials und Vorgaben, die um uns schwirren, und besser als diese Angebote und Vorschläge, die eigentlich ihr Hauptinteresse natürlich auf dem Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen setzen. Lass dich dabei auch nicht davon irritieren, wenn deine Vorstellungen so gar nicht dem aktuellen Mainstream entsprechen, wenn deine Vorstellungen so überhaupt nicht den Empfehlungen und Vorschlägen entsprechen und vor allem, lass dich nicht unter Druck setzen, unbedingt jetzt was für Selfcare machen zu müssen – wichtig ist einzig und alles, dass es dir damit gutgeht. Ach ja, und lass dir nicht einreden, dass du egoistisch bist, weil du mal zu einer Aufforderung „Nein“ sagst und stattdessen lieber mit einem Buch in der Sonne liegst.

In diesem Sinne – hab einen ganz wunderbaren Tag und versüße mir meinen vielleicht mit deiner Meinung und deinen Erfahrungen. Ich freue mich jedenfalls schon darauf.