Gedankenplauderei

Be tolerant – sollen, wollen, müssen wir immer tolerant sein?

Wolfgangssee-Wonderfulfifty

Es gibt allgemeine Themen, zu denen keine einheitliche objektive Betrachtung möglich ist, wo kein Richtig und Falsch exakt definiert werden kann – die Menschen gehen mit unterschiedlichen Sichtweisen, verschiedenen Erfahrungen darauf zu. So geistert etwa das Impfen als Schutz vor Krankheiten immer mal wieder durch den Raum. Wenn man mich jetzt spontan dazu fragen würde, wäre ich wohl eher auf der Seite der Impfbefürworter – warum soll ich mich einer Krankheit, die möglicherweise schlimme Folgen hat, aussetzen, wenn ich die Möglichkeit einer Vorbeugung habe, wenn ich eigentlich das Glück einer so weit fortgeschrittenen Forschung habe, dass ich mich davor schützen kann?

Doch um den Impfgegnern gleich mal den Wind aus den Segeln zu nehmen – ich habe mich nicht wirklich im Detail mit diesem Thema befasst und auch keine Studien oder Berichte dazu gelesen, um mir ein objektives Bild zu machen und für mich fundiert zu entscheiden. Das war jetzt nur eine spontane Bauchentscheidung.

 

Aber auch bei der Fortbewegung treffen die unterschiedlichen Ansichten aufeinander: es werden gerne die öffentlichen Verkehrsmittel als das Um und Auf und das einzig akzeptable Mittel, um von A nach B zu kommen, dargestellt. Gerne wird dabei auch auf die Autobesitzer herabgesehen – so nach dem Motto „Ihr seid die Bösen, ihr seid die Schlimmen, die unsere Luft verpesten, die am Klimawandel schuld sind“ und die Öffis-Fahrer richten sich jetzt mal den Heiligenschein und steigen in den nächsten Bus.

Wenn ich das nun meiner Tante erzähle, die in der Einschicht wohnt, mehrere Kilometer vom nächsten Ort und somit auch mehrere Kilometer von der nächsten Möglichkeit, ein öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen, entfernt, dann ernte ich sicher nur Kopfschütteln. Das sieht jetzt nach einer verschärften Situation aus, die aber so auch in der Realität existiert – ich denke, ihr wisst schon, worauf ich eigentlich hinaus will. Wir können nicht einfach aus unserer Sicht be- und vor allem verurteilen, sondern sollten auch die Meinungen der anderen hören und auf sie eingehen; wer weiß denn ansonsten, was hinter manchen Entscheidungen liegt, wer weiß denn, warum es zu manchen Situationen kommt.

 

Toleranz in der Gesellschaft

Toleranz wird ja in unserer Gesellschaft immer hoch gepriesen und viele heften es sich doch gerne an die Brust, wie tolerant sie doch sind. Doch oft haben dann gerade diese Menschen, die sich selbst als weltoffen und vor allem tolerant sehen, kein Verständnis für Menschen, die anderer Meinung sind. Sie sind von ihrer eigenen Ansicht so überzeugt, dass sie keine anderen Überlegungen akzeptieren können. Hier wird dann nicht versucht, auf Augenhöhe mit den Andersdenkenden zu kommunizieren, sondern sie werden quasi von oben herab belehrt.

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Besonders deutlich wird dies auch immer bei Wahlen ersichtlich, Menschen mit einer anderen politischen Gesinnung wird mit Verachtung und sogar mit Hass begegnet. Kommt von einer Seite ein Vorschlag, wird er doch von der anderen Seite meist gleich mal ohne weiteres Nachdenken abgelehnt – dabei sollte doch das gemeinsame Wohl für alle im Mittelpunkt stehen.

Wir sind ein bunt gemischtes Land – wir brauchen den Bauern auf der Alm, der sein Vieh hegt und pflegt, wir brauchen den Handwerker, der den Schaden in unserem Zuhause repariert, wir brauchen den Arzt, der sich um unsere Gesundheit kümmert, wir brauchen den Lehrer, der Bildung vermittelt, wir brauchen die Menschen in den unterschiedlichen Berufen, wir brauchen Menschen mit einem unterschiedlichen Bildungsgrad, wir brauchen Menschen mit unterschiedlichen Fertigkeiten.

Dabei stoßen verschiedene Meinungen aufeinander, Meinungen, die sich durch das Umfeld, die sich durch den Beruf, die sich durch die Freunde oder auch durch eigene Überlegungen gebildet haben. Doch es kann hier nicht einfach eine Gruppe quasi verurteilt werden – viele gehen überlegt oder unüberlegt, bewusst oder unbewusst davon aus, dass ihre Ansicht die richtige ist, dass ihre Überlegungen das „normale“ Weltbild (was auch immer darunter zu verstehen ist) widerspiegeln.

Die Andersdenkenden werden dabei gerne als komisch, als eigenartig, vielleicht sogar als unkorrekt erlebt, ihnen wird dann mit Ignoranz oder noch schlimmer mit Spott oder gar Ablehnung begegnet. Doch gerade hier ist diese vielgelobte Toleranz wichtig und notwendig.

 

Toleranz für uns

Natürlich ist es ein Einfaches, wenn wir uns in unserer eigenen Filterblase befinden, wenn wir uns nur mit Menschen beschäftigen, die die gleichen Ansichten vertreten, dieselben Vorlieben haben. Hier können wir uns doch gegenseitig immer wieder bestätigen, wie richtig wir doch liegen und dass unsere Meinung die Wahre ist. Doch dann kommt da einer und wirft mir ganz andere Ideen an den Kopf, er hat eine mir unbekannte Überzeugung – seine Worte wirken auf mich gleich mal total unglaubwürdig. Das kann doch nicht stimmen? Was will der denn hier? Der kann doch nicht so mir nichts dir nichts in mein wunderbares Wolkenschloss eindringen, meinen Feenstaub Schmutz und mein Einhorn einen lächerlichen Gaul nennen. Da fühle ich mich doch gleich persönlich angegriffen und beginne um mich zu schlagen und verteidige meine Gedankenwelt und meine Ansichten.

Ups, was ist denn da doch tatsächlich passiert. Da ist mir doch die Toleranz abhanden gekommen – sie hat sich wie eine kleine Luftblase aufgelöst und ich habe mich hier auch gleich mal intolerant verhalten. So schnell kann das also gehen und wir taumeln von Toleranz und Verständnis zu Intoleranz, zumindest mal in Gedanken.

 

Was bringt Toleranz?

Toleranz heißt doch eigentlich auch, dass ich die Meinung von anderen Menschen nicht verurteile, auch wenn sie absolut nicht meinen Vorstellungen entspricht. Ich muss ja diese Ansicht, diese Vorstellung vom anderen nicht übernehmen, ich muss ja deswegen meine Einstellung nicht ad acta legen. Jeder darf, ja, jeder soll doch seine eigenen Überlegungen haben und wenn wir den anderen damit auf Augenhöhe begegnen, dann lässt sich aus dieser Verschiedenheit oftmals etwas Wunderbares machen.

Es führt zu einer Erweiterung unseres Horizonts, wir werden zu anderen Gedankengängen angeregt und können das Beste daraus machen. Denn nur wenn wir offen auf das uns Fremde und Unbekannte zugehen, lernen wir auch andere Sichtweisen kennen – diese können wiederum für unser eigenes Leben passen oder auch nicht. Ja, es kann sich bei unserem Nachdenken  natürlich auch herausstellen, dass wir mit der Meinung des anderen wirklich überhaupt nichts anfangen können. Es kann natürlich sein, dass wir keine gemeinsame Wellenlänge finden, dennoch können wir miteinander respektvoll umgehen und dem anderen nicht seine Überlegung absprechen.

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Ohne einer gewissen Toleranz würde unser soziales Zusammenleben nicht funktionieren, das fängt vermutlich bei vielen schon am Arbeitsplatz an – nicht jeder Kollege hat die gleichen Arbeitsweise, nicht jede Kollegin teilt unsere Vorstellung von Projektarbeit. Dennoch können wir mit Toleranz mit den Eigenheiten und Ansichten des anderen umgehen und so ein erfolgreiches Projekt schaffen.

Doch das ist sicher nicht immer einfach – manche Ansichten widersprechen vielleicht auch total unserem eigenen Wertebild oder diese Menschen sind uns gegenüber total intolerant und lassen keine andere Meinung gelten, ja sie sind nicht einmal bereit, sich andere Ansichten anzuhören, so sehr sind sie von der Richtigkeit ihrer eigenen Einstellung überzeugt. Hier sind wir dann vielleicht auch mal versucht, diese Menschen zu verurteilen.

 

Gibt es Toleranzgrenzen?

Sind wir damit jetzt schon intolerant, wenn Toleranz doch bedeutet, die Meinung eines anderen auch zuzulassen? Wie weit muss eigentlich unsere Toleranz gehen? Wieviel Toleranz ist notwendig und sinnvoll? Was muss ich alles tolerieren? Darf ich auch mal intolerant sein? Es kann sicherlich nicht sein, dass wir unter dem Deckmantel der Toleranz von anderen alles hinnehmen müssen, dass wir uns mit allem abfinden müssen, dass wir alles annehmen müssen. Damit würde die Toleranz doch irgendwie auch in eine falsche Richtung laufen, ja übertriebene Toleranz kann im Endeffekt gefährlich werden.

Toleranz hat doch auch etwas mit Freiheit zu tun – die Menschen haben unterschiedliche Ansichten, unterschiedliche Einstellungen, unterschiedliche Vorstellungen und diese werden von den anderen toleriert und nicht abgelehnt oder verachtet. Wir haben dadurch ja die Gedankenfreiheit, die Freiheit unser Leben nach unseren Wünschen zu gestalten. Genauso wie die Freiheit des einen dort aufhört, wo die Freiheit des anderen beginnt, sehe ich das auch bei der Toleranz. Auch Toleranz bewegt sich innerhalb bestimmter Grenzen und kann nicht einfach für alles und jedes beansprucht werden.

Es kann in unserem Leben sicher die eine oder andere Situation geben, in der Toleranz nicht notwendig, ja vielleicht sogar nicht angebracht ist. So heißt es doch in einem Zitat „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt!“ – es gibt also Meinungen von anderen, es gibt Verhaltensweisen, die wir nicht hinnehmen müssen, besser noch nicht hinnehmen sollen und zwar dann, wenn damit die Toleranzgrenze überschritten ist. Damit stellt sich für mich aber auch schon wieder die nächste Frage: Wer bestimmt denn, wann die Toleranz überstrapaziert ist? Wer legt fest, wann die Toleranzgrenze erreicht ist?

OK, manchen fällt bei Toleranzgrenze vielleicht spontan gleich mal die letzte Anonymverfügung für das Überschreiten eines Tempolimits ein; hier ist die Toleranzgrenze also gesetzlich geregelt: bis zu einem bestimmten Prozentsatz wird das Überschreiten der Geschwindigkeitsbeschränkung toleriert, erst danach wird zur Kasse gebeten. Ein Kriterium für die Toleranzgrenze sind also die Gesetze, die ja für alle Menschen Gültigkeit haben; wenn durch Handlungen Menschenrechte verletzt werden, wenn es sich um kriminelle Taten handelt, dann ist die Toleranzgrenze eindeutig überschritten und Toleranz hier nicht mehr angebracht. In diesem Punkt sind wir uns doch sicher mal einig – ich würde dies aber vielleicht noch etwas ausweiten und auch darin sehen, wenn durch das Verhalten eines anderen – egal in welcher Form – die persönliche Freiheit eines Menschen eingeschränkt wird.

 

Kann Toleranz eingefordert werden?

Ich habe aber auch immer wieder mal festgestellt, dass gerne Menschen, die selbst intolerant sind, die keine Rücksicht auf andere nehmen, für die nur sie selbst und ihre Wünsche zählen, gerne von anderen Toleranz einfordern. Sie erwarten bevorzugte Behandlung, sie wünschen sich von den anderen Entgegenkommen und berufen sich dabei auf ihre Einschränkung, auf irgendeine Benachteiligung, auf ihre Lebensform oder was auch immer.

Dabei gehen sie mit einer Selbstverständlichkeit davon aus, dass sich die anderen ihnen gegenüber tolerant verhalten müssen, dass es quasi die Pflicht der anderen ist, auf sie einzugehen. Werden ihre Bedürfnisse, ihren Anliegen nicht sofort in gewünschten Form erfüllt, dann kann führt dies zu einem Aufschrei und Aufbegehren; ja immer mal wieder beschimpfen sie die anderen vielleicht sogar als intolerant und engstirnig.

Wolfgangssee-Wonderfulfifty

Ich denke, die Menschen haben unterschiedliche Eigenheiten, andere Vorstellungen und auch andere Pläne für ihre Leben. Daher ist einfach gegenseitige Toleranz erforderlich, wir sollten die anderen so annehmen, wie sie sind, mit ihren Eigenschaften und Ansichten, mit ihrer Lebensform und ihren Ideen. Dabei ist es unerheblich, ob wir ihrem Lebensziel zustimmen, ob wir in den Meinungen übereinstimmen. Wir tolerieren ihre Art und Weise – auch wenn wir damit so gar nichts anfangen können -, sie tolerieren unsere Vorstellungen, so können wir glücklich nebeneinander leben und keiner wird in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt.

 

Toleranz begegnet uns in irgendeiner Form doch immer wieder: Wann fällt es dir leicht tolerant zu sein? Gibt es auch Situationen, wo dir das schwerfällt? Bist auch schon mal an deine Toleranzgrenze gestoßen oder hast du intolerante Menschen getroffen?

Ich freue mich schon total auf deine Erfahrungen.